Am 2. Oktober 1808 standen sie in Erfurt erstmals einander gegenüber: Napoleon und Goethe. Der Kaiser, von Goethe schon seit längerem bewundert, wollte den Dichter kennenlernen, dessen „Leiden des jungen Werthers“ er schätzte. Der Fürstenkongress zu Erfurt bot die Gelegenheit.
Über die Begegnung, die etwa eine Stunde dauerte, ist nur wenig bekannt. Goethe ist nie bereit gewesen, das Gespräch ausführlich zu protokollieren, und die Memoiren von Frankreichs Außenminister Talleyrand sind eine dubiose Quelle. Goethe und Napoleon sahen einander am 6. Oktober in Weimar wieder und wechselten einige Worte, und am 14. Oktober erhielten Goethe und Wieland vom Kaiser das Kreuz der Ehrenlegion verliehen.
Goethe ist bis zu seinem Tod ein Verehrer Napoleons geblieben, was Kritik nicht ausschloss; er bewunderte ihn als das „Kompendium der Welt“, verstand es aber, sich allen persönlichen Verlockungen zu entziehen. Denn Napoleon wünschte seine Übersiedlung nach Paris, wo Goethe politische Dramen im Sinne Napoleons schreiben sollte. Der Dichter lehnte ab.
Über die Beziehung zwischen diesen beiden Repräsentanten ihres Zeitalters sind zwischen 1882 und 1968 vier Bücher erschienen. Gustav Seibt fügt ihnen ein weiteres hinzu, den Vorgängern überlegen in der Aufarbeitung und Durch‧dringung des Materials. Denn Seibts vortrefflicher Essay geht über das Doppelporträt noch hinaus. Er gibt ein genaues Bild der politischen Zeitumstände, schildert die von Goethe selbst erlebten Kriegswirren und die quälenden Einquartierungen, die sogenannte „Befreiung“ 1813 und das Resümee des alten Goethe in den Gesprächen mit Eckermann, in der Lektüre und im Werk selbst.
Das Material, in dem nichts von Belang fehlt, ist gründlich ausgewertet und wird dem Leser anschaulich ausgebreitet und gedeutet. Einem Buch von solcher Kultur begegnet man heute immer seltener; der Rezensent hat die Lektüre, die ihn nicht losließ, wahrlich genossen.
Rezension: Kleßmann, Eckart