Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Geschichte Russlands – Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution

Hildermeier, Manfred

Geschichte Russlands – Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution

Dass die Rezension der monumentalen Geschichte Russlands aus der Hand des Göttinger Osteuropa-Historikers Manfred Hildermeier unter dieser Überschrift erscheint, hat seinen Grund: Das Werk ist ursprünglich als eine Arbeit zu ebendiesem Verhältnis geplant gewesen und wurde dann zu einer Gesamtgeschichte ausgebaut. Diesem Anspruch wird sie mit ihrem Überblick über die Zeit von der Kiewer Rus im Mittelalter bis zur Oktoberrevolution – wo sie dann an Hildermeiers 1998 publizierte Geschichte der Sowjetunion anschließt – auch weitgehend, aber nicht vollständig gerecht.

Positiv hervorzuheben ist, dass das Buch – anders als viele andere Gesamtdarstellungen – zwei übergeordnete Fragestellungen hat, die für die einzelnen historischen Phasen diskutiert werden: das Verhältnis zum übrigen Europa – denn Hildermeier sieht mit Katharina II. einen integralen Bestandteil dieses Kontinents in Russland wirken – und die Diskussion der viele Jahrzehnte die Historiker beschäftigenden Frage nach der fundamentalen „Rückständigkeit“, mit der man Sonderentwicklungen in Russland scheinbar leicht erklären konnte.

Während Hildermeier zu Recht für eine Ablösung der so griffigen Kategorie der „Rückständigkeit“ plädiert, zugunsten eines weitaus schwieriger zu vermittelnden Geflechts von unterschiedlichen „Funktionszusammenhängen“, ist die Europa-Perspektive problematischer. Hildermeiers Russland endet programmatisch am Ural: Sibirien und der Ferne Osten werden gestreift, Russisch-Amerika nicht erwähnt, und der Aneignung Zentralasiens sind gerade einmal sechs Seiten gewidmet.

Dafür ist aber der übrige Inhalt durchaus eindrucksvoll: In sechs große Zeitabschnitte gegliedert, schildert Hildermeier Herrschaft oder Innenpolitik, Außenbeziehungen, gesellschaftliche Entwicklung, Wirtschaft und Kultur der jeweiligen Zeit. Er bleibt dabei einerseits höchst konventionell (wenn etwa die innere Entwicklung von der Außenpolitik separiert wird), andererseits erweitert er den Rahmen üblicher Überblicke, wenn er etwa der Kategorie „materielle Kultur“ breiten Raum schenkt, die in Deutschland (anders als in marxistischen Geschichtswerken) lange Zeit der Volkskunde und der Archäologie zugerechnet wurde und bisher eher selten und nur am Rand in Überblicke Eingang gefunden hat.

Hildermeier ist zuvörderst Neuzeit-Sozialhistoriker. Damit erklärt sich, dass der Mittelalter-Teil knapper ausfällt als die Zeit vom 18. Jahrhundert an. Dafür ist er plastischer, lesbarer als die späteren Kapitel. Der Text wird dort am besten, wo er sich auf historische Kontroversen einlässt – wo er etwa die von Slawophilen als partizipatorische „Landesversammlungen“ hochstilisierten zemskie sobory des 17. Jahrhunderts entmystifiziert oder die Entwicklung der Leibeigenschaft als einen nachvollziehbaren Prozess darstellt und einer schnellen Gleichsetzung der Leibeigenen mit „Sklaven“ widerspricht. Und auch die Datierung des Beginns der polnischen Abhängigkeit von Russland auf die Zeit nach der Schlacht von Poltawa (1709), da nun August der Starke vom Zaren seine Krone gesichert bekam, ist originell und treffend.

Anzeige

Anderes vermisst man – etwa die Begründung des neuen Putin-Nationalfeiertags „Tag der nationalen Einheit“ mit der Beendigung der polnischen Besetzung Moskaus 1612 und mit der seit vorsowjetischen Zeiten gefeierten adlig-bürgerlichen Kooperation der „Helden“ Minin und Poscharski. Und wegen der an sich positiven strukturellen Aufteilung werden die Pogrome von 1905 vor dem Kapitel über die „jüdische Frage“ und die Pogrome von 1881 abgehandelt. Aber das sind letztlich Kleinigkeiten, die bei einem solchen Opus magnum geradezu unvermeidlich sind. Vermeidbar aber wäre gewesen, dass im Computerzeitalter mit End-, statt mit Fußnoten gearbeitet wird, so dass man, wenn einen die Hinweise interessieren, dauernd blättern muss. Dass die asiatische Dimension, die eine vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart aktuelle sozialhistorische, geistesgeschichtliche und nicht zuletzt politische Dimension besitzt, nicht mit dem ihr gebührenden Gewicht einbezogen wurde, ist dagegen wirklich bedauerlich, denn das Buch hätte damit tatsächlich den Rang eines Standardwerks erreicht, den es in weiten Teilen zu Recht beanspruchen darf.

Rezension: Prof. Dr. Frank Golczewski

Hildermeier, Manfred
Geschichte Russlands – Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution
Verlag C. H. Beck, München 2013, 1504 Seiten, Buchpreis € 49,95
Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
DAMALS in den sozialen Medien
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Ade|no|vi|rus  〈[–vi–] n., umg. auch m.; –, –vi|ren; Med.〉 Virus, das durch Schmier– u. Tröpfcheninfektion übertragen wird, befällt meist die Atemwege u. löst damit 5–15 % aller Erkältungskrankheiten aus (Husten, Schnupfen), es kann auch Bindehautentzündungen verursachen [grch.]

Mo|de|ar|ti|kel  〈m. 5〉 Sy Modeware 1 〈i. w. S.〉 während gewisser Zeit oft gekaufte neue Ware … mehr

So|na|ten|form  〈f. 20; unz.; Mus.〉 formale Gliederung eines Satzes (bes. des ersten) einer Sonate, Sinfonie o. Ä. in Exposition, Durchführung, Reprise (u. Coda); Sy Sonatenhauptsatzform … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige