Für die Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert lag bisher keine wissenschaftliche Gesamtdarstellung in deutscher Sprache vor. Diesen Mangel hat jetzt der Historiker Hans Woller mit seiner lesenswerten Studie behoben. Abgewogen und unaufgeregt schildert er die Entwicklung des liberalen Italiens der Jahre zwischen 1900 und 1922, die des faschistischen und nach 1945 des demokratischen – wobei man angesichts des autokratischen Stils eines Berlusconi Zweifel haben kann, ob diese Etikettierung noch zutrifft.
Außerordentlich eindrucksvoll liest sich vor allem Wollers Darstellung der „entgrenzten Gewalt“, derer sich das imperiale Italien, das sich nach Mussolinis Visionen zu einem Großreich zwischen Indischem und Atlantischem Ozean entwickeln sollte, im Abessinien-Krieg 1935 und danach schuldig machte. Mussolini beschwor eine Politik des „Terrors und der Ausrottung“ gegen die äthiopische Elite, ließ Giftgas einsetzen und ganze Landstriche in Schutt und Asche legen. Insgesamt sind in diesem Konflikt mindestens 330 000 abessinische Opfer, darunter etwa ein Drittel Zivilisten, zu beklagen; etwa 25 000 italienische Soldaten sind gefallen.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger