Als 1947 die Chefs der Einsatzgruppen, die den Mord an den Juden in Osteuropa ausgeführt hatten, in Nürnberg vor Gericht standen, waren viele Beobachter überrascht, daß die Anführer dieser Mörderbanden “keine ungebildeten Wilden” waren; acht von den 22 Angeklagten waren Juristen, einer war Universitätsprofessor, gut ausgebildet waren sie alle. Als hingegen 1961 der vermeintliche Hauptorganisator des Judenmordes, Adolf Eichmann, in Jerusalem vor Gericht stand, ergab sich ein anderes Bild. Eichmann erschien als ein so subalterner Befehlsempfänger, daß Hannah Arendt den Begriff von der “Banalität des Bösen” prägte. Das löste heftige Kontroversen aus, und seitdem hat die Frage nach dem Tätertypus die Forschung wiederholt beschäftigt. 1996 bekräftigte Ulrich Herbert in einer Studie über Werner Best die These, daß der Mordapparat von Intellektuellen angeführt wurde. Aber erst jetzt ist der Versuch einer zusammenfassenden Gesamtdarstellung unternommen worden. Die Mordzentrale war das 1939 gegründete Reichssicherheitshauptamt. Der Chef war bis zu seinem Tode 1942 Reinhard Heydrich. Nie zuvor war die Polizei in Deutschland so zentralisiert gewesen. Das Amt hatte insgesamt etwa 3000 Mitarbeiter. Das Führungskorps bestand aus den etwa 400 Amtschefs, Gruppenleitern und Referenten. Davon wählte Michael Wildt 221 Personen aus, um das Täterprofil festzustellen. Das Verfahren war ziemlich einfach; es beruht hauptsächlich auf den Personalakten. Es ergibt sich, daß die Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes eine ziemlich homogene Gruppe darstellten. Die Angehörigen waren durchweg jung (75 Prozent waren nach 1900 geboren). Zwei Drittel hatten studiert, ein Drittel promoviert. Die große Mehrheit waren Juristen, aber auch Geisteswissenschaftler waren mit 22 Prozent stark vertreten. Wildt zeichnet sein Profil auf vier Ebenen. Zunächst hebt er hervor, daß diese Leute am Ersten Weltkrieg nicht mehr teilgenommen hatten, aber tief von ihm geprägt waren; ihre Bildungserlebnisse empfingen sie zumeist in den Spätjahren der Weimarer Republik. Dann beschreibt Wildt die Institution des Reichssicherheitshauptamtes. Es war eine “Institution des Krieges” und des rassistischen Massenmordes, was im dritten Teil dargestellt wird. Besonders erstaunlich ist der Epilog. Viele machten nach 1945 wieder Karriere, gewiß eine andere, doch auch erfolgreiche; einer wurde Verlagslektor und betreute die Ausgabe von Hannah Arendts Eichmann-Buch, ohne daß die Autorin ahnte, daß sie mit einem Amtskollegen Eichmanns korrespondierte. Wildt gibt der Polizei- und Mordzentrale der Nazis ein Gesicht. Die Lebensläufe sind packend. Hier waren Intellektuelle am Werk, die ohne Befehl wußten, was sie tun sollten. Hitler brauchte ihnen nicht zu sagen, daß er die “Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa” wollte. Sie vollzogen sie weithin aus eigenem Antrieb. Trotzdem bleiben Fragen. Auf die Rolle Hitlers geht Wildt kaum ein, obwohl man doch weiß, daß ohne seine Autorität oder gar gegen sie im Führerstaat nichts von Bedeutung geschehen konnte. Wie also funktionierte die Koordination? Wildts Profil scheint manchmal auch allzu einheitlich. Eichmann, der nicht einmal das Abitur hatte, entspricht nicht dem Typus des Intellektuellen. Die Forschung ist also nicht am Ende. Aber Wildt hat sie um einen Riesenschritt vorangebracht. Sein Werk liefert immens viele neue Einsichten..
Rezension: Jäckel, Eberhard