Viele in westlichen Sprachen verfasste Bücher über die Geschichte und Gesellschaft Japans beschreiben das „Land der aufgehenden Sonne“ in orientalisierender und mystifizierender Art zwischen den Polen „Tradition und Moderne“. Besonders wohltuend kommt die gut 1000 Seiten umfassende Monographie „Geschichte Japans“ von Wolfgang Schwentker daher. Der Autor verdeutlicht, dass das Japanische Kaiserreich gerade als moderner ostasiatischer Staat westlichen Nationen in vielerlei Hinsicht mehr ähnelte und ähnelt als vermutet – etwa, was imperialistische Bestrebungen oder den Kampf um internationale Anerkennung als Großmacht anbelangt.
Das besonders auf japanische Primärquellen und den neusten Forschungsstand gestützte Werk erstreckt sich über den japanischen Gründungsmythos, die Besiedlung des Landes, chinesische Kultureinflüsse, die Entwicklung von Buddhismus und Shintoismus und die jahrhundertelange Shogunats-Regentschaft. Thematisiert werden zudem die Abschottung und dann die Öffnung gegenüber dem Westen. Weitere Schwerpunkte bilden die Modernisierung (Meiji-Restauration) nach westlichem Vorbild und die Etablierung des Kaisertums, der Aufstieg zur Großmacht bis hin zum ökonomischen und (pop)kulturellen Japan-Boom der Nachkriegszeit – um hier nur ein paar Themen der Gesamtdarstellung japanischer Geschichte exemplarisch zu nennen. Besonders lesenswert sind Schwentkers Ausführungen über die Samurai als Japans „Kriegerklasse“ und „politische Funktionselite“.
Für eine in deutscher Sprache und damit für eine deutschsprachige Leserschaft verfasste Geschichte Japans mag es überraschen, dass die deutsch-japanischen Beziehungen und allen voran der Würzburger Japan-Forscher Philipp Franz von Siebold eine untergeordnete Rolle spielen. Dass im Ersten Weltkrieg „ca. 3000 [deutsche] Soldaten“ gegenüber Japan bei der Schlacht um Tsingtao kapitulierten und „der Großteil dieser Männer … den Krieg im Gefangenenlager Bando [verlebte]“ ist so nicht richtig: Es waren weit über 4500 Mann, von denen die meisten in anderen Lagern untergebracht waren. Bedenkt man den besonderen Stellenwert, den die Marine für den Inselstaat einnimmt, ist es verblüffend, dass die zwei wichtigsten Protagonisten, Heihachiro Togo (Russisch-Japanischer Krieg 1904/05) und Isoroku Yamamoto (Zweiter Weltkrieg) – beides Lichtgestalten moderner Militärgeschichte im Allgemeinen und Japans im Speziellen – nicht einmal namentliche Erwähnung finden.
Eine Überarbeitung des Buches scheint nicht nur wegen der skizzierten Mängel, sondern auch aufgrund der Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit nötig – genannt seien etwa die Ermordung des langjährigen Premierministers Shinzo Abe im Juli 2022, die auch und gerade in Japan immer sichtbarer werdenden Herausforderungen des globalen Klimawandels oder sicherheitspolitische und rüstungstechnische Justierungen, unter anderem als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine und auf die chinesische Bedrohung Taiwans. Insgesamt aber ist Wolfgang Schwentker eine ausgezeichnete Gesamtdarstellung der Geschichte Japans gelungen. Das Buch ist nicht nur Japan-Historikern, sondern auch einem an Japans Geschichte interessierten Laienpublikum zu empfehlen.
Rezension: Dr. Takuma Melber
Wolfgang Schwentker
Geschichte Japans
Verlag C. H. Beck, München 2022, 1050 Seiten, € 49,90