Der Zweite Weltkrieg scheint lange zurückzuliegen, doch erweist sich, dass die Erfahrungen derjenigen, die als Kinder den Krieg erlebten, im privaten Leben noch immer wirksam sind. Die Forschung hat dafür den Begriff der „generationellen Weitergabe“ geprägt; zahlreich sind die Publikationen zu diesem Thema.
Miriam Gebhardt, Historikerin und Journalistin, geht speziell den „Gefühlserbschaften“ nach, die von den Nachkriegseltern auf ihre Kinder, die „Babyboomer“, übergingen. Auf der Grundlage von autobiographischen Texten und persönlichen Erfahrungen zeigt sie eindrücklich, wie Lebensgefühl und -einstellung vieler „Babyboomer“ sich aus den Haltungen der NS-sozialisierten Eltern erklären, ob als Fortsetzung oder als Antithese. Das betrifft etwa die Suche nach einer Verankerung im Leben, die Ambivalenz in der Kinderfrage, die Einstellung zur Geschlechterordnung oder zur eigenen Identität, wobei die Auseinandersetzung für Männer und Frauen durchaus unterschiedlich verlief. Als wohl unheilvollste Saat aber wirkte in vielen Familien die NS-Erziehung zu Härte, Stärke und Unterordnung weiter fort, für die paradigmatisch Johanna Haarer mit ihrem Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ steht. Gefühlskälte und Bindungsunfähigkeit waren oft das Ergebnis. Als Diskussionsangebot zwischen den Generationen kann dieses Buch trefflich dienen.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Miriam Gebhardt
Unsere Nachkriegseltern
Wie die Erfahrungen unserer Väter und Mütter uns bis heute prägen
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2022, 284 Seiten, € 24,–