Von 1775 an wirkte Johann Wolfgang Goethe bekanntlich in verschiedenen Ämtern am Weimarer Hof des Herzogs Carl August, mit dem ihn eine lebenslange, wenngleich nicht immer ungetrübte Freundschaft verband. Beide besaßen sehr unterschiedliche Neigungen und Ansichten, die den Dichter sogar von „antipodischen Existenzen“ sprechen ließen. Der Herzog etwa war militärbegeistert und politisch eher liberal, Goethe pazifistisch und eher konservativ gesinnt, der Herzog hasste Napoleon, Goethe aber verehrte den Korsen.
Sigrid Damm nimmt die besondere Beziehung zwischen Herzog und Dichter genauer unter die Lupe und rekonstruiert auf der Grundlage von Briefen und Tagebucheinträgen die „Wechselfälle einer Freundschaft“. Dabei wird so manches im Umkreis des Weimarer Hofs nur angedeutet oder als Kenntnis vorausgesetzt. Noch mehr irritiert, dass Damm mit ihrer Darstellung erst nach Goethes Rückkehr aus Italien 1788 einsetzt; kaum etwas erfährt man über seine bis dahin vielfältigen Aufgaben bei Hof (er war etwa für den Bergbau und die Soldatenrekrutierung zuständig), die ihn schließlich in eine Schaffenskrise stürzten und zur Flucht in den Süden veranlassten, kaum etwas darüber, wie er entscheidend zur Charakterbildung des jungen Carl August beitrug. Dafür rekonstruiert Damm um so genauer die „innere Seelenverbindung“ der beiden nach 1788, aber auch die Krisen rund um das Wartburgfest oder das Hoftheater. Vor allem der Herzog gewinnt in Damms Erzählung in all seiner Tatkraft und Toleranz eindrücklich an Kontur.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Sigrid Damm
Goethe und Carl August
Wechselfälle einer Freundschaft. Insel Verlag, Berlin 2020, 319 Seiten, € 24,–