Der Berliner Historiker Michael Grüttner legt mit seinem Buch eine Bilanz seiner jahrzehntelangen Forschung zu den Universitäten im „Dritten Reich“ vor. Die akademische Welt grenzte sich nach 1945 vom Nationalsozialismus häufig dadurch ab, dass sie diesem eine Wissenschaftsfeindlichkeit zuschrieb, der sich die übergroße Mehrheit der Professoren entgegengestellt habe. Davon allerdings kann keine Rede sein. Grüttner schildert die Lage der Universitäten seit der Weimarer Republik, der die häufig nationalkonservativen Akademiker reserviert gegenüberstanden. Die Krisenwahrnehmung und die Statusangst der Hochschulmitarbeiter übersetzten sich in eine Offenheit für autoritäre Lösungen. Feste Stellen im Hochschulsektor waren damals wie heute rar gesät, und so wuchs vor allem unterhalb der Ordinarien die Frustration. Nach der Machtübernahme Hitlers setzte deshalb ein Prozess ein, der durch eine Selbstmobilisierung „von unten“ und eine Diktaturdurchsetzung „von oben“ gekennzeichnet war.
Zahlreiche Wissenschaftler mussten die Hochschulen verlassen. Dies stellte einen enormen Verlust an intellektuellem Kapital dar, der sich spätestens im Krieg bemerkbar machte. Für die zahlreichen befristet Beschäftigten eröffneten sich nun allerdings neue Karriereoptionen, die sie mit erheblichem Opportunismus wahrnahmen. Hierzu trugen auch die NS-Organisationen bei, in die zahlreiche Hochschulmitarbeiter hineindrängten, um ihre Chancen zu verbessern, zugleich gelangten einige Überzeugungstäter mit geringen akademischen Meriten in neue Positionen.
Innerhalb der NS-Bewegung hatte es vor 1933 kein klares hochschulpolitisches Konzept gegeben, und daran änderte sich auch nach der Machtübertragung wenig. Hier standen sich Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsbegeisterung in eigentümlicher Mischung gegenüber. Die Universitäten gerieten so ins Spannungsfeld unterschiedlicher Institutionen und Personen, die durchgehend um die Macht und Kontrolle im Sektor der höheren Bildung rangen.
Insgesamt ordneten sich die Universitäten recht reibungslos in die Diktatur ein. Die Versuche einzelner Wissenschaftler, zu Vordenkern des neuen Systems zu avancieren, scheiterten jedoch rasch am Machtanspruch von SS und Partei. Sämtliche Fächer arbeiteten bei eingeschränkter Pluralität mal mehr, mal weniger dem Regime entgegen, seien es Geistes- und Naturwissenschaften oder die Medizin. 1945 lagen die Universitäten dann moralisch und meist auch buchstäblich in Trümmern. Der nun einsetzende Umgang mit der braunen Vergangenheit zeitigte ambivalente Ergebnisse, wie Grütter abschließend darstellt. Insgesamt lässt sich das Buch trotz einer hohen Faktendichte ungewöhnlich gut lesen und kann als exzellente Zusammenführung der bisherigen Forschung gelten. Wer es liest, wird von der immer noch verbreiteten Vorstellung geheilt, höhere Bildung müsse auch mit ebensolchen moralischen Standards einhergehen.
Rezension: Dr. Sebastian Rojek
Michael Grüttner
Talar und Hakenkreuz
Die Universitäten im Dritten Reich
Verlag C. H. Beck, München 2024, 704 Seiten, € 44,–