Der Hof von Córdoba gilt gerade für die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts als großes Kommunikationszentrum und als Ort eines ausgedehnten höfischen Lebens. In diese Zeit fällt die Erweiterung der Moschee von Córdoba, in dieser Zeit wurden zahlreiche Gesandte aus den verschiedensten Ländern Europas und der Mittelmeerwelt empfangen. Córdoba rief – wie bei dem Gesandten Johannes von Gorze – Staunen hervor, in dieser mittelalterlichen „Großstadt“ gab es nicht nur die umfangreichste Bibliothek im europäischen Westen.
Grundsätzlich war dies bekannt, aber das Besondere des Buches von Eduardo Manzano Moreno liegt darin, dass er eine lange Zeit verschüttete oder vergessene Quelle rehabilitiert, die über die Jahre 971 bis 974 relativ ausführlich Auskunft gibt. In der Einleitung erzählt der Autor die verschiedenen Geschichten und Fährnisse, die sich um das Manuskript oder besser: eine Abschrift der heute verlorenen Handschrift ranken. Der Text selbst ist Teil einer Dokumentation der omaijadischen Geschichte und bildet den siebten Band eines größeren Werkes. Ein Vermerk verrät, dass der Autor, Ibn Hayyan, diesen Teil verfasste, als schon die Auseinandersetzungen um den Niedergang des Kalifats zu Beginn des 11. Jahrhunderts einsetzten.
Die weiteren Wege der Quelle sind verschlungen: Am Hof von al-Hakam II. (961– 976) verfasste ein Sekretär namens Isa b. Ahmad al-Razi so etwas wie offizielle Annalen, die Jahre später Ibn Hayyan für seine Gesamtdarstellung zur Dynastie der Omaijaden nutzte. Das Werk wurde 1249 kopiert. Von dieser Kopie wurde eine weitere hergestellt, die in die Bibliothek der Familie der Awlad al-Fakkun gelangte. 1888 erlangte Francisco Codera auf der Suche nach arabischen Manuskripten in Nordafrika eine weitere Kopie dieses Werkes, die er in der Real Academia de la Historia deponierte und die einziger Überlieferungsträger blieb.
Manzano Moreno nutzt dieses Material und präsentiert in seinem Buch in insgesamt zehn Kapiteln eine Geschichte des omaijadischen Kalifats, das als mikrohistorische Studie mit weiter Perspektive gelten kann, denn er fragt zugleich, wie das von ihm als „Staat“ bezeichnete Kalifat funktionierte. Dabei bedient er sich der Begriffe Macht (im Sinne von notfalls auch gewaltsamer Durchsetzung eigener Vorstellungen) und Autorität (durch Einsatz von Legitimation und Überzeugung). Die Darstellung schreitet von den naturräumlichen Voraussetzungen zu Strukturen und politischen sowie kulturellen Aspekten voran. Damit entsteht in einer Art Momentaufnahme ein dennoch umfassendes und plastisches Bild, das gleichzeitig verdeutlicht, woran Blüte und Niedergang des sogenannten goldenen Zeitalters Córdobas hingen.
Besonders wichtig sind die „Topographien der Macht“, wie sie sich in Córdoba und in der Palaststadt Madinat al-Zahra manifestierten. Die Verbreiterung der Straßen und weitere Maßnahmen waren auch Antworten des Kalifen auf teilweise andere Wünsche der Stadtbevölkerung, so dass Revolten und Niedergang des Kalifats unter der Fragestellung von Macht und Autorität mit sehr konkreten Quellennotizen erklärt werden können.
Die kluge Verbindung von Quelleninterpretation und großen Erklärungsansätzen macht den unschätzbaren Wert des Buches aus, denn nicht zuletzt antwortet es auch differenziert auf die bis heute interessierende Frage, wie unterschiedlich soziale Gemeinschaften unter christlicher und muslimischer Herrschaft funktionierten.
Rezension: Prof. Dr. Klaus Herbers
Eduardo Manzano Moreno
Der Hof des Kalifen
Córdoba als Zentrum der islamischen Hochkultur
Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2022, 480 Seiten, € 34,–