Soll die Geschichte aus der Sicht der Eroberer und Machthaber oder der Unterdrückten und Benachteiligten geschrieben werden? Howard Zinn verwirft absichtlich den Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft und begründet dies damit, daß Auswahl, Vereinfachung und Hervorhebung für den Historiker unvermeidlich seien und eine ideologische Schwerpunktsetzung einem Geschichtswerk immer zugrunde liege, egal ob gewollt oder nicht.
Zinn, der als Professor für Geschichte und Politik an der Boston University bis 1988 tätig war, ist durch sein Engagement für Bürgerrechtsbewegungen sowie als entschiedener Kriegsgegner bekannt. So erscheint es nur logisch und konsequent, daß Zinn seine „Geschichte des amerikanischen Volkes“ aus der Perspektive der Indianer, der Sklaven, der Einwanderer, der Frauen und anderer „Verlierer und Benachteiligten“ schreibt, und ihnen bewußt einen Platz einräumt, den sie in der traditionellen Geschichtsschreibung so nie eingenommen haben.
Im ersten Band seines Werkes beschäftigt sich der Autor mit der Geschichte der Entdeckung Amerikas, der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der Entstehung der Rassentrennung. Dabei kommen viel Gewalt, Leid und Elend zutage und manche seit Jahrhunderten gefeierte Helden wie Christoph Kolumbus oder James Madison erscheinen in etwas zweifelhaftem Licht.
Die übrigen acht Bände dieser Taschenbuchausgabe behandeln amerikanische Geschichte von der Unabhängigkeitserklärung bis zur Regierung der Präsidenten Carter, Reagan und Bush und schließen ab mit den persönlichen Zukunftsvisionen Zinns, die auf dem Vertrauen in die Bewußtwerdung der Menschen, insbesondere der Mittelschicht, über ihre Rolle in dem historischen Prozeß fußen.
Die populäre Darstellung der amerikanischen Geschichte richtet sich in erster Linie an ein breites historisch interessiertes Publikum, deshalb verzichtet der Autor auf die Fußnoten, führt aber viele wörtliche Zitate aus den Quellen und der Forschungsliteratur an. Zinns verständliche und nachvollziehbare Aufarbeitung des Themas bietet eine neue Perspektive auf die amerikanischen Geschichte und füllt somit eine Lücke in der traditionellen Geschichtsschreibung.
Rezension: Daus, Maryna