Das Buch von Daniel Siemens beleuchtet die Biographie eines in Vergessenheit geratenen Intellektuellen. Hermann Budzislawskis Name war mit jenem der Zeitschrift „Die Weltbühne“ verbunden. Dabei gehörte er in keiner Weise zu den glanzvollen Autoren der Weimarer Zeit. Anders als Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky, um die beiden führenden Leitartikler dieses legendären „Blättchens“, einer unabhängigen linken Zeitschrift, zu nennen, blieb Budzislawski während der Goldenen Zwanziger ein unbedeutender Publizist.
Der Titel des Buches „Hinter der Weltbühne“ ist gleichwohl klug gewählt. Denn zum einen war Budzislawski weit hinter der Reihe der erstrangigen „Weltbühne“-Autoren einzusortieren. Zum anderen bestand sein hauptsächliches Talent darin, Zeitschriften zu managen, weniger, ihnen intellektuellen Glanz zu verleihen. Insofern ist es keine Nachlässigkeit von Siemens, nur wenig Auskunft über die Aufsätze seines Helden zu geben. Budzislawski war sich von Anfang an bewusst, ein wie großer Glanz von der „Weltbühne“ ausstrahlte, auch auf ihn selbst, als er seit 1934 zunächst im Prager, dann im Pariser Exil die Leitung der „Neuen Weltbühne“ durch ein ebenso undurchsichtiges wie geschicktes und skrupelloses Agieren übernahm. Seit dieser Zeit bis zu ihrem Ende 1939 steuerte er sie weiter nach links, ohne dass ihm aber der Vorwurf einer bloßen Abhängigkeit von der Moskauer Parteiführung bewiesen werden konnte. Bis heute haftet an ihm dieser Verdacht, den insbesondere auch andere Autoren der Weimarer „Weltbühne“ gegen ihn hegten. Noch 1962 schäumte etwa Kurt Hiller vor Wut über diesen, wie er meinte, von „Moskau gecharterten Kerl“.
Siemens kann hingegen in seiner genau aus den Quellen rekonstruierten und mit viel Übersicht verfassten Studie zeigen, dass Budzislawski nicht ohne weiteres so eindeutig zwischen den Polen des ideologischen Weltbürgerkriegs im 20. Jahrhundert zu lokalisieren war. Deutlich wird seine vielschichtigere Rolle während der Zeit im amerikanischen Exil. Es sollte dem fremdsprachenbegabten Autor gelingen, in amerikanischen Medien zu publizieren. Zudem war er ein gefragter Deutschland-Experte zu Kriegszeiten. Vor allem aber wirkte Budzislawski als Ghostwriter für die prominente amerikanische Publizistin Dorothy Thompson. Erst später, im Zeichen der sogenannten McCarthy-Ära, kam es zum Bruch mit ihr.
In Ostdeutschland setzte Budzislawski seine Karriere als Professor für Journalistik in Leipzig fort. Viel lieber hätte er sofort das Erbe der „Weltbühne“ fortgeführt, schließlich erfolgte in Ost-Berlin schon 1946 ihre Wiederbegründung. Doch Walter Ulbricht misstraute einem bürgerlichen Sozialisten wie ihm. Erst zwischen 1967 und 1971 war es Budzislawski nochmals vergönnt, an die Spitze der DDR-„Weltbühne“ zu treten. Im Kern blieb die Zeitschrift unter seiner Leitung ein linientreues Blatt.
Daniel Siemens begegnet Budzislawski mit einer Mischung aus Verständnis und Kritik. Er legt genau dar, wie machtbewusst und opportunistisch sein Protagonist bisweilen handelte. Doch zugleich führt Siemens uns in dieser gut geschriebenen Biographie gekonnt vor Augen, wie sehr eine Figur wie Budzislawski, der kein Sympathieträger war, sich gelegentlich zwischen den Stühlen wiederfand. Insofern berichtet diese lesenswerte Studie von einem typischen und doch erstaunlichen Intellektuellenschicksal im 20. Jahrhundert.
Rezension: Prof. Dr. Alexander Gallus
Daniel Siemens
Hinter der Weltbühne
Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert
Aufbau Verlag, Berlin 2022, 413 Seiten, € 28,–