Das Leben des Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß, lässt sich wahrlich mit „steiler Aufstieg, tiefer Fall“ beschreiben. Als Finanzier und Berater am Hof des Herzogs von Württemberg Karl Alexander äußerst erfolgreich, wurde Oppenheimer nach dem plötzlichen Tod seines Gönners verhaftet, nie bewiesener Straftaten angeklagt und 1738 hingerichtet. Sein Leichnam wurde danach in einem Käfig sechs Jahre zur Abschreckung ausgestellt. Jud Süß wurde zum Symbol für das Judentum schlechthin, zum Stoff von Romanen und Nazi-Hetzfilmen, und immer wieder ist sein Schicksal von der historischen Forschung aufgegriffen worden.
Kann der an der Princeton Universität lehrende Historiker Yair Mintzker diesem spektakulären Fall neue Facetten abgewinnen? Obwohl rund 30 000 Handschriftenseiten zu Oppenheimers Prozess überliefert sind, ist es paradoxerweise nicht leicht, zu dessen historischer Persönlichkeit vorzudringen, zu verzerrt und tendenziös sind die zeitgenössischen Quellen. Mintzker schreibt deshalb eine „polyfone Geschichte“, die die Berichte der Zeitgenossen kritisch einordnet und die vor allem aus Sozialneid geborenen Motive für die Verurteilung bloßlegt, ohne eine einzige „Wahrheit“ daraus zu destillieren – die Einwände der Leser gleich mitbedenkend. Die Geschichte von Jud Süß aber bleibt auch nach diesem Buch deutungsoffen.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Yair Mintzker
Die vielen Tode des Jud Süß
Justizmord an einem Hofjuden
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, 261 Seiten, € 45,–