Das Grabdenkmal von Karl IV., der einige Wochen nach seinem Tod am 29. November 1378 im Prager Veitsdom beigesetzt wurde, ist bereits im Zuge der Hussitenkriege Anfang des 15. Jahrhunderts schwer beschädigt worden. Heute ist es völlig verschwunden. Aus einer zeitgenössischen Leichenpredigt kennen wir jedoch eine Inschrift am Grab des Kaisers, in der Karl IV. als magni quondam tremor orbis, als „einstmals das Beben des großen Erdkreises“, überhöht wurde. Auf diese Überlieferung geht der (sprachlich modernisierte) Untertitel des vorliegenden Buches zurück, das in weiten Teilen tatsächlich eher einer Welt- als einer Lebensgeschichte gleicht.
Wie aber sollte es bei einem mächtigen Herrscher wie dem Luxemburger Karl IV., der wohl markantesten politischen wie geistigen Persönlichkeit des 14. Jahrhunderts, auch anders sein. Es war eine beachtliche Leistung, die Interessen des eigenen Hauses, Belange der Kirche sowie Anliegen der Landes-, Reichs- und Europapolitik aufeinander abzustimmen und gleichzeitig mit diplomatischem Geschick durchzusetzen.
Der als Sachbuchautor ausgewiesene Mediävist Olaf B. Rader, der an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft tätig ist und gleichzeitig an der Humboldt-Universität Kulturgeschichte lehrt, beschränkt sich nicht auf die politisch-dynastischen Zusammenhänge, sondern räumt der intellektuellen Entwicklung Karls, seinem Kunstsinn und seiner Glaubenswelt ebenso breiten Raum ein wie Aspekten der Bau-, Rechts- und Bildungspolitik. Ungewöhnlich knapp werden lediglich die Frauen im Umfeld Karls, insbesondere die vier Ehefrauen, sowie die zahlreichen Kinder behandelt.
Insgesamt werden die Leserinnen und Leser am Ende belohnt, durch viele kluge Einsichten, überraschende Zusammenhänge und eine durchgängig kritische, um Distanz und Sachlichkeit bemühte Darstellung. Der breite Zugriff und die thematische Vielfalt haben allerdings ihren Preis. Eine Orientierung im eigentlichen Wortsinn erhält man in diesem Sachbuch nicht. Weder die literarisch ansprechende, historisch aber fragwürdige Kapiteleinteilung („Erwählt“, „Erhöht“, „Verweht“) noch die Benennung der Unterabschnitte lässt erahnen, was man auf den entsprechenden Seiten vorfindet. Denn was soll man sich unter vagen, vielfach saloppen Bezeichnungen wie „Die Weidenstäbchenschnitzer mit dem schiefen Hals“, „Wie verreckte Ziegen“ oder „Bruderschaft auf Bühnenbrettern“ genau vorstellen?
Das nicht gerade kurze Inhaltsverzeichnis enthält, für eine Biographie doch recht ungewöhnlich, keinerlei Jahreszahl. Ähnlich verhält es sich mit Angaben zum Raum und zur Geographie. Dass Karl IV. seinen böhmischen Länderkomplex um das Zentrum Prag herum systematisch aufzubauen und zu festigen verstand und dadurch Spannungen im römisch-deutschen Reich auslöste, ist für den Leser nicht nachvollziehbar. Nicht ohne Grund hatte schon Kaiser Maximilian I. an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit den Luxemburger als „Böhmens Erzvater“, aber des „Reiches Erzstiefvater“ bezeichnet.
Das neue Werk Raders setzt insofern bemerkenswerte Akzente, aber es ersetzt nicht die älteren, eher klassisch angelegten Biographien zu Karl IV., die in beachtlicher Zahl vorliegen.
Rezension: Prof. Dr. Joachim Bahlcke
Olaf B. Rader
Kaiser Karl der Vierte
Das Beben der Welt. Eine Biographie
Verlag C. H. Beck, München 2023, 544 Seiten, € 38,–.