Die Seidenstraße ist ein historisches Phänomen und wird als ein solches erforscht und beschrieben. Doch spätestens seit Xi Jinpings Großprojekt einer Neuen Seidenstraße quer durch Asien weiß man, dass in den Aussagen über sie immer auch politische Standpunkte eine Rolle spielen. Zu Recht weist der Autor Rainer Feldbacher, Professor an der Capital Normal University in Peking, schon im Titel seines Buches darauf hin, dass die Geschichte der Seidenstraße eine Brücke in die Gegenwart schlägt. Der Mythos, der sich seit langem um sie rankt, ist somit bis auf den heutigen Tag lebendig.
Auch das Titelwort „Netzwerk“ spricht den modernen Leser an und steht gleichzeitig für die Vergangenheit ein. Die Seidenstraße bestand nämlich nie aus nur einem einzigen Verkehrsweg, auf dem die begehrte Seide gehandelt wurde, sondern war immer ein fluides System von Haupt- und Nebenrouten, Längs- und Querverbindungen, Land- und Seewegen, die den Osten Asiens mit dem Westen Europas und dem Norden Afrikas verbanden und über Jahrtausende den Austausch hochwertiger Waren möglich machten. Wer sich mit der Geschichte dieses gigantischen Kommunikationsnetzes befasst, muss sich also an vielen Schauplätzen umsehen und dabei das große Ganze immer im Auge behalten.
Feldbacher löst die Aufgabe, indem er knappe Überblicke über die früheste Geschichte, das Nach-, In- und Nebeneinander der Religionen, das Kommen und Gehen der Herrschenden, die Prägekraft der Umweltbedingungen, über Transport, Technik und die Medien der Kommunikation voranstellt, um sodann in einem zweiten Block jene Länder und Regionen vorzustellen, die von Handel und Austausch profitierten: China als Kerngebiet, Xinjiang mit seiner kulturellen Vielfalt und den gegenwärtigen Problemen, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Turkmenistan, Iran
in Zentralasien, Armenien und Georgien im Kaukasus, schließlich die Ausläufer im Nahen Osten. All diese Länder hat der Autor bereist und seine Reisen fotografisch dokumentiert. Alle Aufnahmen stammen von ihm. Großer optischer Reiz geht von ihnen aus.
Atemberaubende Landschaften stehen neben archäologischen Fundstätten, Eindrücke von den Monumenten neben Einblicken in den Alltag. Der Text geht auf die wichtigsten Sachverhalte ein, ohne sie erschöpfend behandeln zu wollen. Ein aufmerksames Lektorat hätte ihm nicht geschadet. Feldbacher zitiert Marco Polo, wenn er bekennt, nicht einmal die Hälfte dessen niedergeschrieben zu haben, was er gesehen hatte. Gerne wird man ihm bestätigen, dass es ihm mit seinen opulenten Fotografien und kundigen Texten gelungen ist, Neugier, Interesse und auch Verständnis für die Kulturen an der Seidenstraße zu wecken.
Rezension: Prof. Dr. Folker Reichert
Rainer Feldbacher
Netzwerk Seidenstraße
Brücke zwischen Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart
wbg Philipp von Zabern, Darmstadt 2022, 120 Seiten, € 38,–