„Die hiesige Altstadt ist ein Gewirr von Märchenhäusern, wunderlicher als an jedem anderen Ort, wie bei den Brüdern Grimm“. So schildert der amerikanische Romancier Thomas Wolfe seine Eindrücke von der Altstadt Frankfurts am Main im Jahr 1926. Mit zunehmendem Interesse verfolgt man die Zeitbilder und Eindrücke des Amerikaners mit deutschen Wurzeln, der zwischen 1926 und 1936 sechs Reisen nach Deutschland unternahm. Die Texte zeigen deutlich, wie Wolfes Vorurteile (etwa die Deutschen seien „Hunnen“) einer größeren Aufgeschlossenheit wichen, wie er sich, Ströme von Wein und Bier konsumierend, in das deutsche Kulturleben in München, Frankfurt oder Berlin hineinwarf, interessiert, fasziniert, wenn auch keineswegs kritiklos.
Wolfe bereiste Hannover, Leipzig, Weimar, Eisenach, Magdeburg, Hamburg und Bremen, aber auch den Schwarzwald, und von allem erzählt er treffend und anschaulich. 1936 aber kam das jähe Erwachen, als der inzwischen berühmt gewordene Dichter die Olympischen Spiele in Berlin erlebte, die ihm schlagartig den gefährlichen Weg offenbarten, auf dem sich Deutschland befand. All dies können wir nun zum Glück in der sorgfältig kommentierten Ausgabe von Oliver Lubich nachlesen. Sie verbindet die Reiseeindrücke mit Briefen, Auszügen aus Erzählungen und witzigen Zeichnungen aus Wolfes Tagebüchern.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Thomas Wolfe
Eine Deutschlandreise
Manesse Verlag, München 2020, 416 Seiten, € 25,–