Wer eine klassische Unternehmensgeschichte erwartet, wird von dem Buch über den Konzern „Dr. Oetker“ enttäuscht. Dafür sorgt schon die Eingrenzung der Studie auf die Zeit des Nationalsozialismus. Mit ihrer Fokussierung auf das „Politische“ zerreißt sie die wirtschaftlichen Entwicklungslinien, blendet die Analyse der Unternehmenskultur aus und blockiert die historische Perspektive auf die gegenwärtige Lage des Konzerns.
Im Mittelpunkt der von Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching herausgegebenen Publikation steht nicht das Unternehmen selbst, sondern stehen biographische Skizzen von Richard Kaselowsky (1888 –1944) und von seinem Stiefsohn und Unternehmenserben Rudolf-August Oetker (1916 –2007). Diese sind allerdings vom Feinsten.
Kaselowsky, der die Witwe des 1916 vor Verdun gefallenen Alleinerben Rudolf Oetker heiratete und das Werk bis zu seinem Tod durch britische Fliegerbomben führte, gehört nämlich nicht zum grauen Heer der Opportunisten, die ihre Firmen 1933 mehr oder weniger freudig der neuen Zeit anpassten, sondern verkörperte schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten deren Ideologie. Dies erlaubte ihm nach 1933 eine besondere Nähe zum Regime, die auch dem Unternehmen nützte. Anders als die meisten Konsumgüterprodu-zenten konnte sich Dr. Oetker deshalb auch im Schatten der Aufrüstung und des totalen Krieges behaupten und sogar erste Schritte in der Entwicklung neuer Geschäftsfelder (Reederei, Hochseefischerei) machen. Es versteht sich, dass Kaselowsky seinen Stiefsohn ganz in diesem Geist erzog.
Insoweit eröffnet die Studie Einsichten besonderer Art in die bizarren Denk- und Handlungswelten dieser relativ seltenen Spezies innerhalb der NS-affinen Unternehmer. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Dr. Oetker seine Archive erst 2009 öffnete, während andere Konzerne schon Mitte der 1990er Jahre damit begonnen haben, ihre NS-Vergangenheit „aufzuarbeiten“.
Leider bleibt Dr. Oetkers spezifischer Platz in der deutschen Unternehmenslandschaft weitgehend im Dunkeln. Ausgerechnet die Zeit von 1933 bis 1945 vermittelt dazu die wenigsten Einsichten. Davor und danach lagen die Stärken des Konzerns in der Kombination deutscher und amerikanischer Unternehmenskultur in der Lebensmittelbranche. 1891 gegründet, ist Dr. Oetker typisch für die „neue Industrie“ in Deutschland, die sich durch Verwissenschaftlichung ihrer Produktionsweise und Anwendungsorientierung bis heute als erfolgreich erweist. Das Oetker-eigene „Institut für Küchenchemie“ und das 1911 eingeführte „Dr. Oetker Schulkochbuch“ stehen für diese Qualität. Typisch amerikanisch waren dagegen Standardisierung und offensive Werbung. Schließlich fand convenience food über Bielefeld schon früh Eingang in die deutsche Lebensmittelindustrie.
Wer die Studie nutzen will, um den gegenwärtigen Führungsstreit bei Dr. Oetker besser zu verstehen, wird ebenfalls enttäuscht. Hierzu wäre eine Fortsetzung über 1945 hinaus dringend geboten.
Rezension: Prof. Dr. Werner Abelshauser