Objektgeschichte ist ein neuer Trend der Geschichtswissenschaften. Material, Herstellung, Gebrauch, Größe, Wert, Konsum und Status, teilweise auch Umfunktionierung, Konservierung oder Recycling sind nur einige Aspekte der manchmal jahrhundertelangen Objektgeschichte, aus der wir viel lernen können über Kultur und Konsum, Technik und Wirtschaft, Gesellschaft und Normen. Der vorliegende Band stellt 100 Objekte aus den Beständen des Deutschen Museums in München vor, darunter wissenschaftliche und musikalische Instrumente, Maschinen, Fahrzeuge, Modelle und Schaukästen, Präparate und Medaillen sowie Bücher und Druckgraphiken, vom Mitarbeiterstab aus 120 000 in den Ausstellungen und Archiven schlummernden Objekten mit Bedacht ausgewählt. Ihre Anordnung ist chronologisch, und sie beginnt, den Sammlungsschwerpunkten des Museums folgend, erst 1482 mit einer Inkunabel aus der Frühzeit des Buchdrucks.
Warum man ein Astrolabium von 1588 aus einer Prager Werkstatt und nicht ein älteres aus islamischem Entstehungskontext gewählt hat, bleibt unverständlich und deutet auf Eurozentrismus der Auswahl (vorwiegend deutscher) „Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik“ hin, der nur selten durchbrochen wird, etwa mit einer Umhängetasche aus Safttüten, hergestellt von einer Frauen-Kooperative in Manila – stellvertretend für das noch nicht bewältigte Problem des Plastikmülls, das diese Objektklasse mit sich bringt.
Die jeweils rund fünf Seiten langen, ausgezeichnet illustrierten Texte folgen dem Prinzip des in der Museumsdidaktik verbreiteten story-telling. Sie vermitteln Informationen zu Herstellungskontext und Verwendungszusammenhang der Objekte sowie ihrer Nachnutzung und Sammlungsgeschichte. In der überwiegenden Zahl der Beiträge kommen dabei die Verfahren der Herstellung, die materielle Zusammensetzung und die Feinheiten ihres Gebrauchs zu kurz. Im Beitrag über die Magdeburger Halbkugeln Otto von Guerickes (1662) beispielsweise erfahren wir nichts über die in Magdeburg vorhandenen Kupferschmiede. Sie halfen bei der Herstellung jener hochgenau gefertigten Halbkugeln, die bei der Evakuierung implodiert wären, wenn sie nicht genaue Kugelform gehabt hätten. Objektbeschreibung hätte hier von stärker lokaler Kontextualisierung profitiert. Auch Schaubilder zum Funktionieren komplexerer Instrumente und Maschinen findet man selten. Eine Ausnahme bildet die Originalzeichnung des Segelapparats von Otto Lilienthal – übrigens einer der besten Texte des Bandes, in dem auch auf die handwerklichen Techniken, Materialien und die Überlieferungssituation eingegangen wird. Sammlungshistorisch interessant ist der Beitrag über Konrad Zuses programmgesteuerte Rechenmaschinen.
Wegen der großen thematischen Breite fungiert der ausgezeichnet illustrierte und solide gebundene Band wie ein objektorientierter, aber strikt chronologisch aufgebauter Museumsführer, der seine Leserinnen und Leser zur Beschäftigung mit Wissenschafts- und Technikgeschichte motivieren soll. Ein Namensregister erlaubt den personenorientierten Zugriff auf die im Text verstreuten Informationen – ein Sachregister wäre gleichermaßen nützlich gewesen. Insgesamt ein interessanter Querschnitt durch die Bestände des Deutschen Museums, durchgehend allgemeinverständlich und narrativ geschickt präsentiert, aber sehr disparat in Auswahl und Qualität.
Rezension: Prof. Dr. Klaus Hentschel
Wolfgang M. Heckl (Hrsg.)
Die Welt der Technik in 100 Objekten
Verlag C. H. Beck, München 2022, 686 Seiten, € 39,95