Die Vernichtung des Templer-Ordens durch König Philipp IV. von Frankreich, die er in der Zeit zwischen 1307 bis 1314 betrieb, gestaltete sich als furchtbares Drama. Der in Paris lehrende französische Historiker Alain Demurger widmete ihm sein wissenschaftliches Lebenswerk. Auf Deutsch sind zwei Werke erschienen: Neben dem Überblick „Die Templer. Aufstieg und Untergang 1120 –1314“ hat Demurger auch eine Biographie des letzten Templers Jacques de Molay verfasst (beide Bücher im Verlag C. H. Beck). Jetzt legt der Autor wieder ein ebenso kenntnisreiches wie engagiertes Buch vor.
Bei der Verteidigung der christlichen Kreuzfahrer-Reiche hatten die geistlichen Ritterorden noch eine herausragende Rolle gespielt. Als Elitetruppen waren sie rigoros auf geistliche Lebensformen, Keuschheit und Gehorsam verpflichtet. Doch im Untergang der lateinischen Herrschaft in Palästina 1291 offenbarte sich ihr Misserfolg. Auf den lateinischen Westen zurückgeworfen, wirkten die Templer mit ihren grenzüberschreitenden Organisationsformen wie ein unberechenbarer Fremdkörper im Europa der Monarchien.
Bald schon strengte der französische König einen Prozess zur Vernichtung der funktionslos gewordenen Gemeinschaft an. Der Papst fügte sich, und so fanden die letzten Tempelritter 1314 auf einem Pariser Scheiterhaufen den Tod. Demurger rekonstruiert differenziert die Reaktionen der Templer und zeigt die Spannbreite menschlicher Standhaftigkeit oder auch Fügsamkeit. Entsprechend fielen die Strafen aus, wobei das Schicksal der meisten Individuen im Dunkeln blieb. Die Anpassungsfähigen kamen mit dem Leben davon; die Überzeugten gerieten in lange Kerkerhaft oder wurden hingerichtet.
Fast taggenau rekonstruiert Demurger in seinem neuen Buch die Höhepunkte der Tragödie. Die im Anhang abgedruckten Anklagepunkte lassen Raum für Phantasien über Schuld oder Unschuld, über Magie oder Sexualität. Will man glauben, dass die Templer Christus verleugneten, auf das Kreuz urinierten, eine Katze anbeteten; dass sie sich gegenseitig auf den Mund, auf den Hintern, auf die Rute küssten; dass sie neue Brüder zur homosexuellen Vereinigung ermunterten?
Eine Kernfrage aber bleibt in diesem Buch blass. Was trieb den französischen König zur gezielten Vernichtung der Templer? Hatte er es nur auf deren reichen Besitz abgesehen? Die ökonomische Erklärung will jedoch nicht so recht zum Umgang mit dem enteigneten Templervermögen passen. Vielmehr präsentierte sich Philipp IV. als religiöser Eiferer und als Durchregierer. Kaum ein Gelehrter der letzten Jahrhunderte wollte ihm dies wirklich glauben. Doch im 21. Jahrhundert wächst das Gespür dafür, wie furchtbar sich fundamentalistische Überzeugungen jenseits wirtschaftlichen Kalküls austoben können. Die Empathie mit den Opfern ist berechtigt. Man sollte aber auch die „Rationalität“ ihrer Verfolger unbedingt im Blick behalten.
Rezension: Prof. Dr. Bernd Schneidmüller