Vor mir liegt mit „Die Unterwerfung der Welt“ ein weiteres opus magnum von Wolfgang Reinhard. Der Band beruht auf der vierbändigen „Geschichte der europäischen Expansion“ des Autors (Stuttgart 1983 bis 1990). Bereits damit hatte Reinhard Maßstäbe gesetzt, war es damals doch die erste ausführliche Geschichte der europäischen Expansion in deutscher Sprache.
Das vorliegende Werk bietet die gründlich revidierte Neubearbeitung, wobei das Grundgerüst der früheren Bände erhalten blieb. Es beginnt bei den mittelalterlichen Anfängen der europäischen Expansion und dem Vordringen der Portugiesen und Spanier sowie der ihnen folgenden Niederländer, Engländer und Franzosen in die Alte und die Neue Welt. Auch der Atlantik wird national (als spanischer, portugiesischer, niederländischer, französischer und britischer Atlantik) behandelt, dazu der jüdische und der afrikanische Atlantik.
Der Dekolonisation im atlantischen Raum schließen sich die imperialen Expansionen in Russland, den USA und Kanada an, ergänzt durch die Besiedlung in Südamerika, Südafrika, Australien, Neuseeland und dem Pazifik sowie die Kolonialherrschaft im Indischen Ozean. Ein eigener Band war früher Afrika gewidmet, das jetzt in den Kapiteln 18 bis 22 abgehandelt wird.
Neu ist das Kapitel 23 mit dem Titel „Vergangenheit ohne Zukunft?“, in dem es unter anderem um die Kontrolle der Polargebiete geht und Reinhard fragt, ob Israel die letzte Siedlerkolonie des Westens gewesen sei. Hier sieht er nur in einer Politik des Vergessens die Möglichkeit zur Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern.
Das Vermächtnis Reinhards wird insbesondere in Kapitel 24 mit dem Titel „Bilanz und Ausblick“ deutlich, in dem er seine Idee der Expansion zur Globalität fortschreibt und die beiden Begriffe voneinander abgrenzt. Während die europäische Expansion die Gebiete der Welt miteinander verknüpfte und diesen ein anderes Gesicht verlieh, bestimmt die Globalität das Leben jedes Einzelnen, sei es durch die Verkürzung von Entfernungen und Zeit, das Internet, die globalen Finanzströme und Migration, aber auch durch den „Konsum entschärfter asiatischer Spiritualität“.
Als Kennzeichen der europäischen Expansion sieht Reinhard die Ressourcenmobilisierung, die von Silber, Gold und Diamanten bis hin zu Bodenschätzen reichte. Einschneidend seien die Veränderungen der internationalen Politik durch die Dekolonisation, die er an der Herkunft der UNO-Generalsekretäre ebenso deutlich macht wie an der zunehmenden Zahl der UNO-Mitglieder.
Am Schluss setzt sich Reinhard auch mit der postkolonialen Theorie auseinander. Besonders verdienstvoll ist, dass er die Literatur der letzten 30 Jahre durchgearbeitet und in Form von Literaturhinweisen aktualisiert hat. So wird auch dieser „neue Reinhard“ für die nächsten drei Jahrzehnte ein Standardwerk sein.
Rezension: Prof. Dr. Michael North