Der Anteil der „Sturmabteilung“ (SA) am Aufstieg und an der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 ist seit vielen Jahren unumstritten. Ihre Rolle während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde bislang jedoch eher als marginal eingestuft.
In seiner Studie widerlegt der Historiker Daniel Siemens die These von der nach 1934 bedeutungslos gewordenen SA. Quellennah und sachkundig zeichnet er ihre Entstehung und Entwicklungsphasen nach, ohne allerdings näher auf das Spannungsverhältnis zwischen SA und SS einzugehen. Siemens zeigt, dass die SA bis Kriegsende wesentlich zur Stabilisierung des NS-Regimes beitrug.
Die 1921 als paramilitärische Schutztruppe der NSDAP gegründete SA war bis 1923 eine relativ unbedeutende, regional begrenzte Schlägertruppe. Erst nach 1925 entwickelte sie sich zu einer hierarchisch strukturierten, an die Kommandostrukturen des Heeres angelehnten, reichsweiten Massenorganisation, die 1934 vier Millionen Mitglieder umfasste. Sie entwarf von sich das Bild einer starken, elitären Gemeinschaft, deren sichtbarstes Zeichen seit 1926 die von der Firma Hugo Boss hergestellte SA-Uniform war.
SA-Mann zu sein wurde ein Lebensstil, den die SA durch eine regelrechte Fanartikelindustrie – etwa die Herstellung einer eigenen Zigarettenmarke namens „Sturm“ – aktiv beförderte. Mit Massenaufmärschen, ihrer Präsenz in Stadt und Land und massiver Gewalt gegen politische Gegner und Juden trug die SA entscheidend zur Machtübernahme der Nationalsozialisten bei.
Nach der Ermordung der SA-Führung im Zuge des „Röhm-Putsches“ Ende Juni 1934 erfand sich die SA neu. Sie wurde bürgerlicher, an die Stelle des Straßenkämpfers trat der Partei-funktionär, dessen Aufgabe die Verteidigung der „Volksgemeinschaft“ war. In der Folge übernahm die SA die vormilitärische Ausbildung der männlichen Jugend, stellte in den Grenzregionen des Reichs und später in den annektierten Gebieten paramilitärische Verbände auf, band dort Volksdeutsche an sich und schuf Anreize für die Ansiedlung von SA-Männern.
Mit Kriegsbeginn wurden viele SA-Mitglieder zur Wehrmacht eingezogen und prägten diese ideologisch. SA-Einheiten beteiligten sich an militärischen Vorstößen, am Partisanenkampf und an der „Germanisierung“ der örtlichen Bevölkerung. Führende SA-Generäle wurden als Botschafter in Südosteuropa eingesetzt und waren an der Deportation der dort lebenden Juden beteiligt.
Auch an der Heimatfront war die SA gegenwärtig. Wer nicht als Soldat kämpfen konnte, wurde im Luftschutz, beim Bunkerbau oder auf dem Feld eingesetzt. SA-Angehörige überwachten Zwangsarbeiter, „Asoziale“ und die eigenen Volksgenossen. Seit 1944 schulte die SA auch Einheiten des Volkssturms und der Hitler-Jugend für den „Endkampf“.
Das lesenswerte Buch von Daniel Siemens zeigt, welche Bedeutung die SA bis zuletzt für das NS-Regime hatte, als Bürgerkriegsarmee, als Grenzschutzpolizei und als Wächterin der „Volksgemeinschaft“. Nach 1945 begründeten nicht zuletzt die Siegermächte den bis heute existierenden Mythos von der nach 1934 unbedeutenden SA.
Rezension: Dr. Claudia Steur
Daniel Siemens
Sturmabteilung
Die Geschichte der SA
Siedler Verlag, München 2017, 589 Seiten, € 36,–