Man könnte meinen, über die Zeit zwischen 1939 und 1945 sei schon alles Wesentliche gesagt und geschrieben worden und kein noch so unbedeutendes Kapitel sei unbeachtet geblieben. Doch immer finden sich vergessene Episoden aus jener Epoche, deren Zeitgenossen allmählich aussterben und deren Erinnerungen daher umso dringender konserviert werden müssen.
Eine solche vergessene Seite des Zweiten Weltkriegs ist die Geschichte der „Ritchie Boys“, die der Autor und Regisseur Christian Bauer zusammen mit Rebekka Göpfert in seinem gleichnamigen Buch schildert. Bei den Ritchie Boys handelte es sich um aus Nazi-Deutschland vertriebene Emigranten meist jüdischer Herkunft, die in Camp Ritchie – einem geheimen Ausbildungslager der US-Armee – in psychologischer Kriegsführung ausgebildet wurden. Wegen ihrer besonderen Beziehung zum Kriegsgegner und ihren Sprachkenntnissen wurden die jungen Deutschstämmigen teilweise an vorderster Front eingesetzt und führten einen effektiven Krieg der Worte. Der Bericht, glänzend recherchiert und erzählt, basiert auf den zahlreichen Begegnungen und Interviews des Autors mit acht ehemaligen Ritchie Boys. Großes Lob verdient das Buch, das sehr einfühlsam die Erfahrungen der Männer festhält, die als Entwurzelte gegen ihr eigenes Land kämpften – und dabei auch viele Leben retteten.
Rezension: Böhles, Marcel