Den 9. November als „Schicksalstag“ der Deutschen zu bezeichnen, erscheint durchaus plausibel, schaut man sich an, welche Ereignisse sich mit diesem Datum verbinden lassen: Die Ausrufung der Republik im Rahmen der Novemberrevolution 1918, der Hitler-Putsch 1923, die Novemberpogrome gegen Juden 1938 sowie der Fall der Berliner Mauer. Statt, wie es oft geschieht, all dies isoliert voneinander zu betrachten, stellt der Historiker Wolfgang Niess in seiner lesenswerten Studie den engen Zusammenhang der Ereignisse heraus, zu denen er noch das Attentat auf Hitler durch Georg Elser am 8. November 1939 hinzufügt.
Der Putsch 1923 war, so Niess, Hitlers Reaktion auf die Novemberrevolution, die für ihn ein „lebensprägendes Ereignis war“, während die Novemberpogrome im Kontext des Gedenkens der NSDAP an die „Gefallenen der Bewegung“ inszeniert wurden. Das Attentat Elsers schließlich wurde möglich, weil Hitler jedes Jahr an diesem Tag im Münchner Bürgerbräukeller zu den „Alten Kämpfern“ sprach. Schon in der Weimarer Republik ging es um die Symbolkraft des 9. November, der, wie Niess danach sehr eindrücklich zeigt, in der Geschichtspolitik der Bundesrepublik eine andere Rolle spielte als im historischen Gedenken der DDR.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Wolfgang Niess
Der 9. November
Die Deutschen und ihr Schicksalstag
Verlag C. H. Beck, München 2021, 318 Seiten, € 26,–