Welche Bedeutung hatte die Revolution von 1989 für die deutsche Demokratiegeschichte? Eine Frage, der angesichts der aktuellen Ost-West-Debatten wieder vermehrt Aufmerksamkeit zukommt. Die Historikerin Christina Morina hat sie aufgegriffen. In ihrem neuen Buch befasst sie sich mit den Deutschen und ihrer Demokratie seit den 1980er Jahren. Dabei interessiert sie insbesondere, welche Vorstellungen ganz normale Bürgerinnen und Bürger in Ost und West von Staat und Demokratie hatten.
Um diese Frage zu beantworten, hat die Historikerin zahlreiche bislang weitgehend unerforschte Quellen ausfindig gemacht, darunter vor allem Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen, Flugblätter und Konzeptpapiere von Bürgerinitiativen. Anhand dieser Quellen beschreibt sie das Demokratie- und Staatsverständnis der Deutschen in Ost und West vor und nach der Zäsur um 1989 als „politische Kulturgeschichte von unten“. Morina macht in zahlreichen Fallbeispielen anschaulich, wie sehr sich die Vorstellungen und Erfahrungen im Osten und Westen voneinander unterschieden, aber auch, wo sie bemerkenswerte Gemeinsamkeiten aufwiesen. Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag zur jüngsten deutschen Demokratiegeschichte, und die Lektüre hilft dabei, nachzuvollziehen, wo die Gründe für die aktuellen politischen Entwicklungen in Ostdeutschland liegen.
Rezension: Dr. Anna Joisten
Christina Morina
Tausend Aufbrüche
Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren
Siedler Verlag, München 2023, € 28,–