„Moses hatte ein gutes Gespür für Hygiene“, bemerkte der amerikanische Arzt Norman H. Chapman 1882. Er meinte damit die Beschneidung, die im Judentum seit biblischen Zeiten praktiziert wird und die man gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur als religiöses Ritual, sondern als eine hygienische Maßnahme interpretierte. Insbesondere die Amerikaner machten sich dies zu eigen, wie die in den USA immer noch hohe Zahl der beschnittenen Neugeborenen, die nicht der islamischen oder der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehören, verdeutlicht. In Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern ist dagegen die Beschneidung aus medizinischen Gründen eher die Ausnahme.
David Gollaher geht in seinem Buch „Das verletzte Geschlecht“ nicht nur auf die Beschneidungsrituale im Judentum und im Islam ein, sondern bringt zudem zahlreiche Belege aus Stammesgesellschaften, wo die Beschneidung bis heute den Übergang vom Heranwachsenden zum Mann markiert. Auch die verschiedenen ethnologischen Deutungen der Beschneidung – etwa als Fruchtbarkeitsymbol – werden kurz vorgestellt. Die spannendsten Kapitel dieses Buches sind zweifellos diejenigen, die belegen, wie ein Ritual, dem „urzeitliche“ Vorstellungen zugrunde liegen, von Ärzten gegen Ende des 19. Jahrhunderts umgedeutet und zu einer sinnvollen, ja absolut notwendigen Hygienemaßnahme erklärt wird.
Rezension: Jütte, Robert