Eine gut lesbare, den aktuellen Forschungsstand reflektierende Geschichte des Byzantinischen Reiches in deutscher Sprache hat lange gefehlt. Johannes Preiser-Kapeller hat diese Lücke nun geschlossen, und sein Buch wird interessierte Laien ebenso wie Kenner der Materie überzeugen. Es ist dem Autor gelungen, dem Jahrtausend der Byzantiner (Preiser-Kapeller spricht mit gutem Grund durchgehend von „Römern“ und betont damit die Kontinuität zum antiken Imperium Romanum) den Platz in der Geschichte der mittelalterlichen Welt zuzuweisen, der ihm zukommt – wenngleich auch er nicht wird verhindern können, dass Byzanz an Schulen, Hochschulen und im allgemeinen Bewusstsein weiterhin ein Schattendasein führen wird. Dieses resultiert aus altererbten Vorurteilen, die sich mit Begriffen wie „Orient“, „Byzantinismus“, „Caesaropapismus“, „Dekadenz“ und so weiter verbinden.
Erfreulich forsch räumt der Autor damit bereits auf den ersten Seiten des Buches auf, bevor er seine Darstellung mit dem Reich Diokletians (284–305) und Konstantins I. (306–337) beginnt und im Folgenden chronologisch voranschreitet – bis zum Fall Konstantinopels im Jahr 1453. Die Darstellung beschränkt sich nicht auf eine monotone Aufzählung von Ereignissen oder die Entfaltung der politischen Geschichte – im Gegenteil. Immer wieder lenkt Preiser-Kapeller den Blick auf wirtschaftliche Aspekte, verweist auf spannende archäologische Befunde und gibt Einblicke in Kultur und Mentalität, vor allem auch in die Religiosität der Akteure. Auf diese Weise ist eine farbenprächtige, lebensnahe und fesselnde Darstellung entstanden, die mit dazu beitragen wird, überkommene Byzanz-Bilder zu entstauben.
Verschiedene Leitmotive ziehen sich durch den Text: Wiederholte Rekurse auf Ergebnisse naturwissenschaftlicher Klimaforschung zeigen, welch großen Gewinn die Erweiterung unseres Quellenbestands darstellt, den das wachsende Datenmaterial inzwischen ermöglicht. Auch mit seinen stetigen Seitenblicken auf benachbarte und entferntere Akteure (der Horizont reicht bis nach China) zeigt sich der Autor auf der Höhe theoretisch-methodischer Anforderungen globalhistorischer Ansätze: Seine Geschichte des mittelalterlichen Römerreichs ist zugleich auch eine Geschichte seiner Verflechtungen mit dem lateinischen Westen, der eurasischen Steppe, den vorder- und zentralasiatischen Machtbildungen – und damit auch: der islamischen Welt.
Darunter bleiben die bekannten Diskussionsschwerpunkte zur byzantinischen Geschichte weiterhin gut erkennbar: die allmähliche Verschiebung des Zentrums der römischen Welt nach Konstantinopel, das „andere Zeitalter Justinians“, in dem epochale politische Errungenschaften mit Endzeiterwartungen, Katastrophen und der „Justinianischen Pest“ konfrontiert werden, der Existenzkampf gegen die Araber im 7./8. Jahrhundert und die damit verbundene Frage, warum das Reich überlebt hat; Konsolidierung und Bilderstreit, das Reich der Komnenen und die Neustrukturierung der byzantinischen Gesellschaft, das Trauma des Vierten Kreuzzugs als „allerletzte[s] Ende der Antike“ (Seite 251, vgl. Seite 252: „Nennt man bis heute die ‚Vandalenakte‘ bei den Eroberungen Roms 410 und 455 als Markierungspunkte für das Ende der Antike, so wäre die Plünderung Konstantinopels 1204 als Zerstörung einer noch viel längeren Kontinuität antiker Urbanität ebenfalls zu verzeichnen“) und die Kette von Fehleinschätzungen und Katastrophen, die zum Untergang 1453 führten.
All dies ist glänzend geschrieben, beruht auf einer profunden Kenntnis des Quellenmaterials (das auch immer wieder erläutert und problematisiert wird) und der Forschungsliteratur. Fazit: unbedingt lesenswert.
Rezension: Prof. Dr. Mischa Meier
Johannes Preiser-Kapeller
Byzanz
Das Neue Rom und die Welt des Mittelalters
Verlag C. H. Beck, München 2023, 352 Seiten, € 22,–