Die Geschichte der niederländischen Gesellschaft in den Jahren zwischen 1899 und 1999 präsentiert Geert Mak in seinem unbedingt lesenswerten Buch „Das Jahrhundert meines Vaters“. So anschaulich wie informativ verbindet er dabei die Geschicke der eigenen Familie mit den großen Entwicklungslinien des niederländischen Gemeinwesens, stets kritisch, aber einfühlsam in seinen Urteilen. So tritt uns plastisch die alte Welt des Großvaters vor Augen, des Segelmachers im friesischen Schiedam, dessen Lebensregeln noch unbefragt auf Handwerkerstolz und Gottesfurcht gründeten. Maks Vater dagegen wagte den Schritt aus der Enge der väterlichen Umgebung, wurde orthodox-calvinistischer Pfarrer, zunächst im Heimatland, dann von 1928 an in einer Gemeinde auf Sumatra, das Teil des niederländischen Kolonialreichs war. Zu den eindrucksvollsten Passagen des Buchs gehört die Schilderung der familiären Geschicke zwischen Zwangsarbeit und Lagerleben nach der Besetzung der Insel durch die Japaner 1942. Auch zum deutsch-niederländischen Verhältnis hat Mak Kluges zu sagen. Er zeigt, wie die noch bis in die Weimarer Republik vorherrschende positive Haltung der Niederländer gegenüber dem mächtigen Nachbarn sich angesichts der deutschen Besatzung in Bestürzung und Haß wandelte – eine Erfahrung, die bis heute nachwirkt. Doch auch den Niederländern stellt Mak unangenehme Fragen, die unangenehmste die, warum in den Niederlanden so viele Juden denunziert und deportiert wurden, obwohl die Deutschen kein Militärregime errichtet hatten. Der Autor macht hier die niederländische Mentalität des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit verantwortlich – eine unbequeme Wahrheit, mit der sich die Niederländer lange nicht konfrontieren mochten. Das Buch ist völlig zu Recht in unserem Nachbarland ein Bestseller geworden – auch hierzu?lande sind ihm viele Leser zu wünschen.
Rezension: Talkenberger, Heike