Fast 90 Kaiser regierten in rund 500 Jahren die römische Welt: von Augustus bis Romulus Augustulus. Eine Handvoll davon sind als Tyrannen oder regelrechte Irre in die Geschichte eingegangen: Caligula, Nero, Domitian, Commodus, Elagabal. In die Galerie der „schlechten“ Kaiser, über die die Nachwelt denkbar finster urteilte, gehört auch Caracalla, dem jetzt ein eigener Sonderband der Zeitschrift „Antike Welt“ gewidmet ist.
Nicht zu Unrecht, wie man sich als Leser des knapp 150- seitigen Bildbands überzeugen kann. Überhaupt sind ja Roms debile Despoten im Vergleich zu imperialen Gutmenschen wie Titus oder Mark Aurel das bei weitem dankbarere Sujet. Was ließe sich schon über Antoninus Pius sagen, außer dass er dem verblichenen Hadrian die Vergöttlichung im Senat organisierte?
Wer über Caracalla schreibt, kann hingegen aus dem Füllhorn der unterschiedlichsten – mal mehr, mal weniger zuverlässigen – Quellen schöpfen und ein breites Tableau von Themen abschreiten. Genau das tun die Verfasser: Martin Kemkes stellt den Kaiser vor, führt in die Probleme der Textquellen ein und in die verschiedenen Rollen – Thronfolger, Feldherr, Herrscher –, denen er gerecht zu werden hatte, aber nicht immer gerecht wurde.
Barbara Pferdehirt und Markus Scholz widmen sich in ihrem Beitrag dem von Septimius Severus, Caracallas Vater, begründeten Kaiserhaus. Caracallas wohl bedeutendste politische Weichenstellung, die als „Constitutio Antoniniana“ bekannt gewordene Verleihung des römischen Bürgerrechts an die meisten freien Reichsbewohner, nimmt in dem Beitrag den ihr gebührenden breiten Raum ein. Dem Edikt aus dem Jahr 212 n. Chr., das die Verfasser als wichtigen Schritt hin zu einem wirklich integrierenden Imperium ansehen, haben die Autoren bereits 2012 einen ansprechenden Band gewidmet. Politisch ist Caracalla auch als Feldherr in Erscheinung getreten – und das gleich auf zwei Kriegsschauplätzen. Während sein Partherkrieg 216/17 in einer militärischen Schlappe und mit dem Tod des Kaisers von Mörderhand endete, waren seine Operationen in Germanien vor genau 1800 Jahren, im Jahr 213, vermutlich von Erfolg gekrönt. Sie sind Gegenstand der verbleibenden vier Kapitel, die insgesamt deutlich mehr als die Hälfte des Bandes ausmachen.
Hier referieren die Verfasser (Alexander Heisig über Obergermanien und Raetien, Julia Gräf über den Wandel der germanischen Gesellschaften im 3. Jahrhundert, Bernd Steidl über „Caracallas Gegner am Main“ und Stephan Bender über Caracallas Germanien-Feldzug) kenntnisreich die Ergebnisse der jüngeren Forschung. Diese haben unser Bild vom römisch-germanischen Verhältnis seit der Antoninenzeit (der Zeit des Kaisers Antoninus Pius und seines Nachfolgers Mark Aurel, 138 –180) gründlich zurechtgerückt.
Dem Leser eröffnet sich mit der Lektüre ein faszinierendes Panorama der Epoche, das vielleicht nicht ganz so auf Caracalla zentriert ist, wie es der Titel vermuten lässt, aber gerade deshalb ganz ohne Klischees auskommt. Dass sich die Verfasser im Jubiläumsjahr des Germanien-Feldzugs auf den Westen konzentrieren, ist verständlich, angesichts der Bedeutung des Partherkrieges für die weitere Entwicklung im Osten aber auch zu bedauern. Vielleicht darf man sich zu diesem Thema in drei Jahren ein weiteres Buch von demselben ebenso eingespielten wie kompetenten Autorenteam wünschen!
Rezension: Prof. Dr. Michael Sommer