Ende des vergangenen Jahres konnte man in Darmstadt gleich zwei historische Jubiläen feiern: erstens die Erinnerung an die 450-jährige Geschichte der Haupt- und Residenzstadt (zuerst die der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt, dann des späteren Großherzogtums Hessen und schließlich des Volksstaats Hessen, der zwischen 1918 und 1934 bestand). Zweitens konnte man auf die ebenso lange Geschichte einer der größten und bedeutendsten Bibliotheken Deutschlands zurückblicken: der aus der einstigen Hofbibliothek der Landgrafen hervorgegangenen Hessischen Landesbibliothek. Seit dem Jahr 2000 ist sie in die Universitätsbibliothek der Technischen Universität integriert.
Der Zusammenhang beider Jubiläen ist offenkundig. Nicht nur bedeutete die Residenzgründung unter dem ersten Landgrafen Georg I. 1567 den Beginn einer eigenen, bis 1918 währenden Territorialherrschaft, sondern sie leitete auch einen langen Prozess des Sammelns von Wissen aller Art ein. Dieses Wissen sollte zur Unterstützung der dynastischen Ansprüche dienen.
So entstand zuerst der Grundstock einer Hofbibliothek, deren Bestände bis 1789 auf immerhin 16 000 Bände anwuchsen. Doch erst unter dem ersten Großherzog Ludewig I. (1790 bzw. 1806 –1830) begann die Entwicklung hin zu einer modernen, wissenschaftlichen Landesbibliothek – just in dem Moment, als in der Folge der Französischen Revolution große Mengen an bislang in anderweitigem Besitz befindlichem Kulturgut verfügbar wurden: Kunstgegenstände, vor allem aber Handschriften und Bücher aus dem Erbe von Geistlichkeit und Adel. Dadurch entstand ein ganz neuer Markt, der den Aufbau qualitativ hochwertiger Sammlungen überhaupt erst möglich machte.
Hinzu kam die territoriale Neuordnung nach dem Frieden von Lunéville 1801, die als Ausgleich für linksrheinische Gebietsverluste einzelne kleinere geistliche Territorien und das bisherige kurkölnische Herzogtum Westfalen in Darmstädter Besitz brachten. Erst dieser Zuwachs erklärt, warum unschätzbare Werte aus säkularisiertem Klosterbesitz (wie aus Bad Wimpfen) oder ein außerordentlich gut erhaltenes Exemplar der „Goldenen Bulle“ Kaiser Karls IV. (aus dem Erzstift Köln) überhaupt nach Darmstadt gelangen konnten.
All dies ist in dem hervorragend ausgestatteten Jubiläumsband im Einzelnen nachzulesen. Die Autoren schlagen mit ihren Beiträgen, geordnet nach vier großen Themenblöcken, einen Bogen, der von den Anfängen bis zu den heutigen Aufgaben einer großen öffentlichen Bibliothek („Volldigitalisierung“) reicht. Ob es um die Große Landgräfin Caroline und ihre Kabinetts- und Musikbibliothek geht oder um die Handschriften der Wittenberger Reformation, um die wahrhaft fürstliche Kartensammlung oder die Verstrickungen in der NS-Zeit: Es wird nichts ausgespart, sondern mit großer Sorgfalt beschrieben. Über weite Strecken ist das alles andere als trocken, sondern spannend und hochinformativ zu lesen.
Rezension: Dr. Martin Geiling
Universitäts- und Landesbibliothek an der Technischen Universität Darmstadt (Hrsg.)
450 Jahre Wissen, Sammeln, Vermitteln.
Von der Hof- zur Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt
Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 2017, 375 Seiten, € 39,80