Fotobände über Berlin gibt es wie Sand an Meer. Dem Fotografen Meisterstein ist es gelungen, mit einer Zusammenstellung besonderer Art eine bemerkenswerte Sichtweise auf die Hauptstadt zu präsentieren, die sich aus der Masse hervorhebt: In seinem Band „Berlin zum Greifen nah. Ein Jahrhundert in 3-D“ stellt Meisterstein dreidimensionale Fotoaufnahmen verschiedener Zeiten vor. Seit er in der Auslage eines Geschäfts eine russische Doppelobjektivkamera entdeckte, faszinierte ihn diese Form der Fotografie, mit der es gelingt, einen räumlichen Eindruck von den Motiven zu vermitteln.
Was kaum jemand weiß: 3-D-Aufnahmen sind beinahe so alt wie die Fotografie selbst. Die Technik ist denkbar einfach: Von einem Objekt werden zwei leicht versetzte Aufnahmen gemacht und unterschiedlich koloriert. Durch eine farbige Brille nimmt jedes Auge des Betrachters nur eines der beiden Bilder wahr. Insgesamt ergibt sich so der Eindruck von Räumlichkeit.
Eine solche Brille liegt Meistersteins Band bei, um die optische Illusion der Dreidimensionalität zu erzeugen. Dafür hat Meistersteins die Berlin-Fotografien in mühevoller Kleinarbeit in den Archiven des Deutschen Historischen Museums gesucht und restauriert. Die Vorkriegsmotive kommen dabei aus zwei Quellen: Aus dem “Kaiserpanorama” des August Fuhrmann, das schon zur Jahrhundertwende staunenden Zuschauern Stereoaufnahmen zeigte, und dem Archiv des Fotografen Otto Schönstein aus der Zeit des Dritten Reiches. Die Fotos der Nachkriegszeit stammen von Amateurfotografen; für die Aufnahmen neueren Datums zog Meisterstein selbst los und suchte nach eindrucksvollen Motiven.
Das Spektrum reicht von Berlin-Impressionen um 1890, den Feiern am Sedanstag, dem ersten Zeppelinflug über der Hauptstadt, der Olympiade 1936, Naziaufmärschen und der Trümmerwüste 1945 bis zu der mit Stacheldraht und Mauer geteilten Stadt des Kalten Krieges und darüber hinaus. Meisterstein zeigt Szenen vom Abriß der Mauer und des Checkpoints Charly, den vom Verpackungskünstler Christo verhüllten Reichstag, Impressionen vom Karneval der Kulturen 2005, die Siegessäule und das Holocaust-Mahnmal.
Neben der abwechslungsreichen Motivwahl überzeugt auch die Aufmachung des Buches: Neben einer kurzen Einführung in die Geschichte der 3-D-Fotografie, die den Bildtafeln vorangestellt ist, verweisen Pfeile auf Buchseiten mit ähnlichen Motiven oder Standpunkten, so daß man bestimmte Orte in direktem Kontrast mit einem Abstand von mehreren Jahrzehnten betrachten kann.
Rezension: Rupp, Daniel