Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Aufstieg zum Giganten

Marcus Gräser

Aufstieg zum Giganten

dam0123bue08.jpgIn der berühmten Weltkarte des elsässischen Kartographen Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507 findet sich am linken oberen Rand ein dünnes, wenig beschriftetes und somit erkennbar unwichtiges Gebilde, einem Wurmfortsatz gleichend. Eine Landverbindung zu der größeren Landmasse, ein Stück tiefer, gibt es für Waldseemüller nicht – diesem aus europäischer Sicht neu entdeckten Kontinent verpasst er einen Namen, der Bestand haben wird: America. Die neue Welt, „mundus novus“, liegt dort und in der Karibik, deren Inseln bald für Europas Kolonialmächte den wahren Reichtum des fernen Erdteils darstellen werden.

Erst im Lauf des Jahrhunderts wird man in dem Appendix einen Halbkontinent erkennen, und exakt 100 Jahre nach Waldseemüllers Meisterwerk werden sich dort die ersten Auswanderer aus England niederlassen, einen Ort namens Jamestown gründen und vor allem ihre Sprache dort einpflanzen – von wo sie ihren Siegeszug um die Welt antreten wird. Wie diese wird auch Nordamerika, das der an der Universität Linz lehrende Historiker Marcus Gräser in der großen Zeit der Entdeckungen – abermals muss es nach den Gesetzen politischer Korrektheit heißen: aus europäischer Perspektive – im Windschatten des kolonialen Interesses verortet, zu einem Giganten aufsteigen und dies nicht nur in puncto Ausdehnung auf stetig genauer werdenden Weltkarten. Gräser bringt diese Entwicklung vis-à-vis unserer Alten Welt auf den Punkt: „Dass Weltpolitik seit über einem Jahrhundert nicht mehr über Nordamerika verhängt wird, sondern zu einem erheblichen Teil von dort bestimmt wird, markiert vielleicht am deutlichsten den Umschlag von der Peripherie bis zum Zentrum – ein Vorgang, der beileibe nicht nur das Ergebnis eines amerikanischen ‚Willens‘ war (und ist), sondern auch ein mehrfaches Versagen der Politik in Europa zur Ursache hat.“ Wie wahr – die Gegenwart scheint dieses Urteil fortzuschreiben.

Gräser hat das ambitionierte Projekt, die Saga des nordamerikanischen (Teil-)Kontinents im Rahmen der Serie „Neue Fischer Weltgeschichte“ über mehr als vier Jahrhunderte zu erzählen, mit Bravour gemeistert. Standardwerke in derartigen Großserien haben für die Leser oft eher die Funktion von Nachschlagewerken oder Büchern, in denen man vor allem einzelne Segmente liest. Wer sich für Nordamerikas Entwicklung interessiert, wird das Werk von der ersten bis zur letzten Seite goutieren. Natürlich dominieren die USA: Wir verfolgen die Entstehung, die Zerreißprobe des Bürgerkriegs, schließlich den Aufstieg zum Industriegiganten und zur Weltmacht, ohne dass neben der Machtpolitik die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Kampf der Afroamerikaner und der Frauen um Gleichberechtigung sowie der Indigenen für menschenwürdige Behandlung aus dem Blick gerät. Für die Gegenwart stellt Gräser klarsichtig heraus: „Das Missverhältnis zwischen der nach wie vor dominanten wie ökonomischen Macht der USA und der amerikanischen Autorität in der Welt ist groß geworden.“

Nordamerika – gibt es da noch etwas anderes neben dem Giganten? Ja: „Oh, Canada! Terre de nos aïeux“ – wie es in einer Textversion der Nationalhymne des sympathischen zweitgrößten Landes der Welt heißt. Auch diese moderne, bilinguale, multikulturelle, liberale Demokratie, der man – glücklicherweise – das englische wie das französische Erbe anmerkt, wird gebührend gewürdigt. Und zu dem man sagen möchte: „The best way to achieve the American dream is to become a Canadian.“

Rezension: Dr. Dr. Ronald D. Gerste

Anzeige

Marcus Gräser
Nordamerika seit 1600
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022, 576 Seiten, € 68,–

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
DAMALS in den sozialen Medien
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Stu|di|um  〈n.; –s, –di|en〉 1 zur Ausbildung dienende Beschäftigung mit bestimmten (wissenschaftl.) Gebieten an einer Hochschule (Universitäts~, Medizin~, Musik~) 2 Aufnahme von Fakten od. vorgegebenem Wissen u. deren geistige Verarbeitung, wissenschaftl. Betrachtung, Untersuchung, Erforschung von Sachverhalten … mehr

Ho|lun|der  〈m. 3; Bot.〉 Angehöriger einer Gattung der Geißblattgewächse, Holzgewächs mit dickem Mark, gefiederten Blättern u. schirmförmigen od. straußförmigen Blütenständen: Sambucus ● Schwarzer ~ bis 6 m hoher Strauch mit essbaren, schwarzen Früchten: Sambucus nigra; … mehr

Ra|dio|ga|la|xie  〈f. 19; Astron.〉 Galaxie mit millionenfach stärkerer elektromagnetischer Strahlung im Vergleich zu normalen Galaxien

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige