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Antisemitismus in Berlin

Karsten Krampitz

Antisemitismus in Berlin

Zum Hundertsten des Krisenjahres 1923, mit dem die junge Republik in Deutschland „Am Abgrund“ stand oder „Außer Kontrolle“ zu geraten drohte, ist eine Fülle von Büchern erschienen, die die Dramatik dieses Jahres in vielen Aspekten ausgeleuchtet haben. Die Konflikte reichten von der Ruhrbesetzung über die Inflation bis hin zum gescheiterten Putschversuch am 9. November in München, dem Höhepunkt dieses von einem extremen Antisemitismus durchzogenen Jahres.

Nur wenige Tage zuvor erschütterte ein Krawall im Berliner Scheunenviertel, in dem vor allem aus Osteuropa eingewanderte Jüdinnen und Juden lebten, die Stadt. Gegen diese traten immer wieder antisemitische Aktivisten auf. Die Polizei wiederum schien durch Razzien, Verhaftungen und Abschiebungen die antisemitischen Vorurteile bestätigt zu haben. Als in einem in der Nähe des Scheunenviertels gelegenen Arbeitsamt keine Unterstützungsgelder mehr ausgezahlt werden konnten, kamen antisemitische Gerüchte auf, Juden seien Schuld daran. Unmittelbar darauf brach die Gewalt aus. Jüdische Geschäfte wurden geplündert und verwüstet, jüdisch oder den Akteuren als jüdisch erscheinende Bewohner angegriffen und verletzt. Bald weitete sich die Gewalt aus, bis sie von der Polizei beendet werden konnte.

An diesen Scheunenviertel-Pogrom hat nun Karsten Krampitz erinnert. Die in seinem Buch ausführlich abgedruckten Quellen – Zeitungsartikel aus der liberalen Presse und aus verschiedenen jüdischen Zeitschriften, Augenzeugenberichte, Gutachten jüdischer Fürsorgeeinrichtungen und Opferprotokolle – der Abdruck von Quellen nimmt etwa 40 der 140 Druckseiten ein – geben ein genaues Bild von dem Ablauf der Ereignisse, der Gewaltdynamik dieser Tage und dem antisemitischen Furor der Akteure.

Krampitz’ Interpretation allerdings durchzieht wie ein roter Faden der widersinnige Vorwurf an die Sozialdemokratie, für die Gewalt gegen Juden mitverantwortlich zu sein. Mit seinen Anschuldigungen geht er auf die Zustimmung der SPD-Abgeordneten zu den Kriegskrediten und zur Burgfriedenpolitik zurück, wirft der Sozialdemokratie vor, nationalistische Stimmungen befördert zu haben, und gibt ihr die Schuld am Scheitern der Revolution. Krampitz beschuldigt Ebert, der Dolchstoßlegende „den Boden bereitet zu haben“ (Seite 56). Nicht zuletzt das sozialdemokratische Innenministerium unter Carl Severing trage eine Mitverantwortung an den Gewaltexzessen. Der Antisemitismus sei zudem, so die abwegige Behauptung von Krampitz, in den Gründungsjahren der Republik, „ein vom Staat forciertes Massenphänomen“ gewesen (Seite 65). Der Komplexität der Lage wird diese verfehlte Deutung nicht gerecht.

Wie dramatisch und vertrackt die Entwicklung des Jahres 1923 war, belegt nicht zuletzt eine im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigte Ausstellung über den von der KPD inszenierten Putschversuch, mit dem eine zweite Revolution in Deutschland, eine nach bolschewistischem Modell, initiiert werden sollte. Dazu haben Olaf Matthes und Ortwin Pelc einen Band herausgegeben, der umfassende Einblicke in den gescheiterten Aufstandsversuch und die Bedrohungsszenarien, die er auslöste, gibt.

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Rezension: Prof. Dr. Ulrich Wyrwa

Karsten Krampitz
Pogrom im Scheunenviertel
Antisemitismus in der Weimarer Republik und die Berliner Ausschreitungen 1923
Verbrecher Verlag, Berlin 2023, 151 Seiten, € 19,–

Weitere Literatur:

Olaf Matthes/Ortwin Pelc (Hrsg.), Die bedrohte Stadtrepublik. Hamburg 1923. Wachholtz Verlag, Kiel 2023, 263 Seiten, € 34,–.

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