Der Entstehung der europäischen Kultur „im Eisenbahnzeitalter“ und ihrer Verbreitung über Grenzen hinweg geht der britische Historiker Orlando Figes nach. Dabei konzentriert er sich auf die Hochkultur – Literatur, Kunst und Musik –, denn diese Künste seien am stärksten marktabhängig gewesen – ein Signum des Kapitalismus. Und so beschreibt Figes auch die „Ökonomik der Künste“ (Produktionstechniken, Betriebsführung, Marketing, Werbung, Netzwerke).
Im Mittelpunkt des schön geschriebenen Buchs stehen jedoch die Biographien der Opernsängerin Pauline Viardot, ihres Mannes, des Kunstkritikers Louis Viardot, und des russischen Schriftstellers Iwan Turgenjew. Diese drei eng miteinander verbundenen und wahrhaft kosmopolitisch lebenden Personen begleitet man auf ihren Reisen und erlebt, wie sie sich als kulturelle Vermittler und Förderer betätigten. So trugen sie auf ihre Weise dazu bei, dass sich die von ihnen wertgeschätzte Kunst international durchsetzte. Damit standen sie im krassen Gegensatz zu denjenigen, für die Kultur eine rein nationale Sache war.
Rezension: Dr. Heike Talkenberger
Orlando Figes
Die Europäer
Drei kosmopolitische Leben und die Entstehung europäischer Kultur
Verlag Hanser Berlin, Berlin 2020, 640 Seiten, € 34,–