Die Geschichte von Flucht und Vertreibung ist schon oft beschrieben worden, heißt es in einem der Beiträge des Bandes „Als die Deutschen weg waren“, den ein Team aus deutschen, polnischen und russischen Autoren um Ulla Lachauer und Wlodzimierz Borodziej verfaßt hat. Diese Feststellung ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil über die Ursachen, den Ablauf und das Ergebnis der riesigen Zwangsmigration von mehr als zwölf Millionen Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs eine Flut von Berichten, unzählige Erinnerungen und viele Studien vorliegen. Falsch, weil bis in die jüngste Vergangenheit in der Regel nur nach den Flüchtlingen und Vertriebenen, den Verschobenen, aber nicht nach den zu Tausenden in der Heimat verbliebenen Deutschen gefragt wurde. Ein wichtiger Teil des Flucht und Vertreibung umfassenden Prozesses und auch der Nachkriegsgeschichte einiger ostmitteleuropäischer Staaten blieb dadurch ausgeklammert.
Persönliche Einblicke in diesen anderen Teil der Geschichte vermittelt eine dreiteilige WDR-Fernsehserie, zu der (wie mittlerweile üblich) auch dieses Buch zur Begleitung erschienen ist. Es erzählt aus der ungewöhnlichen Perspektive der Verbliebenen die Geschichte dreier Orte, dem polnischen Dobrzen, dem tschechischen Jablonec und dem russischen Tschistye Prudy. Einfühlsam werden die Lebensgeschichten von Menschen ausgebreitet. Wie die Orte, in denen sie aufgewachsen sind – Groß Döbern in Schlesien, Gablonz im Sudetenland und Tollminkehnen in Ostpreußen –, mußten sie nach 1945 nicht nur ihre Namen ändern. Sie wurden auch, ohne ihren Wohnort zu verlassen, durch die neue Staatszugehörigkeit und durch die Nachbarschaft mit den anstelle der ausgewiesenen Deutschen in den Orten angesiedelten Polen, Tschechen und Russen zu anderen Menschen mit einer, soziologisch gesprochen, multiplen Identität.
Mit den Biographien, die dankenswerterweise in eigenen Beiträgen jeweils in den historischen Kontext eingeordnet werden, entstehen zum einen eindrucksvolle Psychogramme. Zum anderen wird anschaulich beleuchtet, was die grundlegenden Veränderungen der Umsiedlung, Flucht und Vertreibung in Orten, in Landschaften und bei Menschen bewirken.
Rezension: Beer, Mathias