Das Leben der Superreichen fasziniert die Menschen seit jeher. Und dass es im Wien des Fin de Siècle einige von ihnen gab, kann auch heutzutage bei einem Blick auf die prunkvollen Gebäude in der Innenstadt kaum verwundern. De facto gab es in Wien um das Jahr 1910 mehr Millionäre als in irgendeiner anderen Stadt in der Welt.
Einige Namen sind durchaus noch immer ein Begriff: dazu zählen Gustav Klimt, Albert Rothschild oder Anna Sacher. Die meisten sind mittlerweile allerdings vergessen. Wer aber waren sie, die Superreichen? Wie lebten sie? Und woher kam ihr Vermögen?
Diese und weitere Fragen versucht der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Roman Sandgruber in seinem Buch zu beantworten. Er zählt diejenigen zu den Reichsten der Reichen, die ein Jahreseinkommen von mindestens 100.000 Kronen versteuert haben und orientiert sich hierfür an den damaligen Steuerlisten. Im Jahr 1910 sind in den Listen 929 Spitzenverdienende zu finden. Sandberger erklärt, durch welche Branchen die Menschen zu ihrem Geld gekommen sind: Sie haben unter anderem als Bankiers gearbeitet, als Industrielle, Bauherren. Einige wenige von ihnen haben sich künstlerisch betätigt. Auch der neue und alte Adel und damit der ererbte Reichtum sind ein Thema.
Außerdem widmet sich der Autor dem Lebensstil der Reichen. Er beschreibt, an welchen Orten sie residiert haben und durch welche Technik sie sich ihr Leben vereinfachen konnten: Einige fuhren bereits ein Auto und elektrisches Licht war in ihren Häusern weit verbreitet. Auch die Freizeitgestaltung behandelt Sandgruber. Einige Hobbies der Wohlhabenden sind auch heute noch verbreitet, wie etwa Tennis oder Golf. Dass das Vermögen allerdings oftmals flüchtig war und in der ein oder anderen Familie nicht länger als eine Generation angedauert hat, zeigt sich in der bereits erwähnten Vergessenheit der meisten Namen. Bei wem das so war, welche Gründe dies hatte, und was aus den Menschen geworden ist, die den Reichtum (nicht) halten konnten, wird im weiteren Verlauf dargelegt.
Da mehr als die Hälfte der Millionäre jüdischer Abstammung waren, ist auch der Anfang des 20. Jahrhunderts immer stärker werdende Antisemitismus, der auch in Österreich allgegenwärtig war, unumgänglich. Am Ende geht der Autor explizit auf den Holocaust ein und legt in bedrückender Art dar, wie die Nationalsozialisten ihren Terror auch in den gehobenen Kreisen des Fin de Siècle walten ließen.
Insgesamt lässt sich das Buch sehr angenehm lesen, theoretische Darlegungen werden an vielen Stellen durch literarische Beispiele aus Tagebüchern, Briefen oder Theaterstücken anschaulich gemacht. Außerdem kann der Text durch mehrere Bildstrecken und viele Kurzbiographien von dem Leser mehr oder weniger bekannten reichen Persönlichkeiten des frühen 20. Jahrhunderts überzeugen.
Rezension: Nele Aßmann
Roman Sandgruber
Reich sein
Das mondäne Wien um 1910
Molden Verlag, Wien 2022, 352 Seiten, € 39,-