Um mit einer Einschränkung zu beginnen: Eine Biographie Albrecht Dürers ist dieses thematisch heterogene Buch nur sehr partiell, nach Seitenzahlen zu etwa einem Drittel. Dazu fehlt es auch an Kenntnis des neuesten Forschungsstands und einer kritischen Prüfung der jahrhundertelang weitergesponnenen Dürer-Legenden und der den Mythenbildungen zugrundeliegenden Quellen. So ist die stachelige Pflanze, die Dürer auf seinem Selbstporträt von 1493 in den Händen hält, wie Shira Brisman in einem eindrucksvollen Essay investigativer Botanik nachgewiesen hat, für Dürer kein „Männertreu“, sondern ein „Sternkraut“, und er weist damit nicht auf künftiges Ehe(un)glück, sondern als Schicksalsblume auf eine große Zukunft hin.
Von einer engen Freundschaft Dürers mit dem Humanisten Conrad Celtis kann bei kritischer Sichtung der Dokumente keine Rede sein, Dürers erste Reise nach Venedig 1494/95 ist zumindest sehr fraglich, das Bild, das er bei seinem einzigen nachgewiesenen Venedig-Aufenthalt 1506 malt, ist kein „Rosenkranzfest“, das es als solches erst seit 1571/72 gibt, seine Beziehung zu Willibald Pirckheimer ist ein klassisches Patronageverhältnis und keine Kumpel- und Stammtisch-Beziehung. Ungewöhnlich ist zudem, dass Dürers Altarbild-Produktion ausgerechnet an einem Werk festgemacht wird, das 1729 einer Feuersbrunst zum Opfer fiel und nur in einer mittelmäßigen Kopie erhalten ist. Dem diesem Auftrag zugrundeliegenden Briefwechsel Dürers mit dem Frankfurter Kaufmann Jakob Heller steuert die Verfasserin einen fiktiven Brief bei, den Heller ihrer Ansicht nach so geschrieben haben könnte – ein zumindest irritierendes Vorgehen, zumal es zu diesem Brief kurz darauf heißt: „Er schrieb an ihn …“ (Seite 121).
Trotzdem ist Ulinka Rublacks Buch sehr zur Lektüre zu empfehlen. Seine große Stärke liegt in den nicht-biographischen und speziell den „dürerabgewandten“ Ausführungen zu Kunstproduktion, Kunsthandel, Kunstvermarktung und Kunstagenten des späten 16. und 17. Jahrhunderts, die den Leser mit imponierender Quellenkenntnis und entsprechenden Zitaten in eine erste Phase der kommerziellen und kulturellen Globalisierung einführen. So wird in spannenden Erzählungen und aufschlussreichen Einblicken aufgezeigt, welche Propagandafunktion und welchen Verherrlichungswert Sammlungen von Bildern und Raritäten aller Art wie seltene Federn und Muscheln für Fürsten und soziale Aufsteiger wie die Augsburger Fugger mit ihren Wunderkammern besaßen und wie solche Objekte in heftiger Konkurrenz mit anderen Bestellern und Auftraggebern aufgespürt und verkauft wurden. Dabei liegt immer wieder auch ein spezielles Augenmerk auf den Werken Dürers und seinen passionierten Sammlern wie dem bayerischen Kurfürsten und dem habsburgischen Kaiser Rudolf II.
So schließt sich am Ende der thematische Kreis eines Buches, das wie aus verschiedenen Fachaufsätzen zusammengesetzt wirkt. Dass es unter dem Strich ein gut lesbares, streckenweise fesselndes Ganzes geworden ist, macht ein besonderes Verdienst der Verfasserin aus.
Rezension: Prof. Dr. Volker Reinhardt
Ulinka Rublack
Dürer im Zeitalter der Wunder
Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 640 Seiten, € 42,–