Das Original des vorliegenden Buches erschien 2021 unter dem Titel „Born in Blackness: Africa, Africans, and the Making of the Modern World“. Das zeigt sehr gut, worum es dem Autor im Wesentlichen geht. Der deutsche Titel hingegen führt in die Irre. Es handelt sich um keine „Globalgeschichte“, sondern um eine Afroamerika-zentrierte Lesart der atlantischen Geschichte: Im Mittelpunkt stehen die Rolle des Gold- und Sklavenhandels in der (frühen) Neuzeit für moderne Entwicklungen sowie der Widerstand und die Mitwirkung schwarzer Akteure. Es geht nicht so sehr um „Afrika“, den Kontinent, als um das Handeln von Afrikanern und Menschen der afrikanischen Diaspora im atlantischen Gefüge.
Schließlich bietet das Buch auch keine befriedigende Darstellung von der „Entstehung der modernen Welt“, sondern zielt darauf ab, deren fortwährende, aktive „Gestaltung“ durch afrikanische Akteure hervorzuheben. Wer an diesen Themen interessiert ist, wird in dem voluminösen Werk, das French „das Ergebnis jahrelanger intensiver Lektüre über die atlantische Welt“ nennt, viele Entdeckungen machen können und nützliche Hinweise finden, aber kein plausibles neues Metanarrativ.
Das berechtigte Kernanliegen von French ist es zu thematisieren, was er eingangs als die „Schmälerung, Trivialisierung und Löschung von Afrikanern und Menschen afrikanischer Abstammung aus der Erzählung von der modernen Welt“ bezeichnet, sein Buch „ein Versuch, Afrika und seine Menschen wieder in das historische Narrativ der vergangenen sechs Jahrhunderte einzufügen“. Der Versuch ist löblich, allerdings sind Verkürzungen, Verallgemeinerungen und Übertreibungen zu häufig, als dass man mit dem Ergebnis zufrieden sein könnte. Nur ein Beispiel: Afrika als bedeutende Triebkraft und „Motor in der Maschinerie der Moderne“ zu benennen ist richtig, doch durch den Zusatz „mehr als jeder andere Teil der Welt“ wird die gesamte Satzaussage falsch. Generell problematisch ist die polarisierte Schwarz-Weiß-Erzählung, derer sich French bedient – er postuliert etwa einen seit 1471 andauernden „Krieg gegen Schwarze Menschen“, womit er Existenz und Virulenz des Hautfarbenrassismus nicht nur um Jahrhunderte vorverlegt, sondern auch anachronistisch naturalisiert.
French unterstellt den historischen Akteuren, Agenten einer strategisch vorgehenden, „jahrhundertelangen“ historischen Praxis zu sein; er bleibt darum in einer Täter-Opfer-Geschichtsperspektive befangen. Angesichts einer in den USA nach wie vor dominanten Stimmungslage der weißen Vormacht ist das im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und den politischen Diskurs im Land durchaus verständlich; allerdings unterscheidet French nicht ausreichend zwischen den gesellschaftspolitischen und den fachhistorischen Debatten. In den Letzteren ist die Suche nach dem einen singulären Metanarrativ seit langem als spekulative Geschichtsphilosophie enttarnt worden, und als Ausdruck eines Willens zur Macht.
Das Buch von French ist, trotz umfangreicher Recherche, kein gelehrtes, sondern ein agitatorisches Werk. Im Kontext der amerikanischen culture wars mag es seine Berechtigung anmelden können, aber der Nutzen der deutschen Ausgabe ist nur bedingt zu erkennen. Auch sprachlich ist die Übersetzung, an der drei Personen gearbeitet haben, wenig einladend. Das alles zusammengenommen macht das Buch zu einer durchwachsenen, zuweilen zähen Lektüre.
Rezension: Dr. Arno Sonderegger
Howard W. French
Afrika und die Entstehung der modernen Welt
Eine Globalgeschichte
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023, 508 Seiten, € 35,–