Als Maria Stuart 1561 in Schottland das Erbe ihres Vaters Jakob V. antrat, übernahm sie die Herrschaft über ein Land, das von mächtigen adligen Magnaten dominiert wurde und in dem Gewalt ein fast selbstverständliches Mittel der Politik war. Die kaum zu übersehende innere Instabilität Schottlands war freilich auch dadurch bedingt, daß seit dem späten 15. Jahrhundert nacheinander drei Monarchen in jungen Jahren gestorben waren, zwei davon eines gewaltsamen Todes. Jakob III. war 1488 bei einem Aufstand von seinen eigenen Adligen umgebracht worden, Jakob IV. im Kampf gegen die Engländer 1513 bei Flodden gefallen und Jakob V. 1542 kurz nach einer weiteren Niederlage gegen England – wohl auch unter dem Eindruck dieser Katastrophe – gestorben.
Sowohl 1513 als auch 1542 kam es, da die jeweiligen Erben minderjährig waren, zur Einrichtung von langjährigen Regentschaften. Dies war von entscheidender Bedeutung. Die institutionelle Autorität der Krone war in Schottland sehr schwach, auch im Vergleich zu anderen europäischen Königreichen der gleichen Epoche. Wo ein erwachsener männlicher König persönlich auftrat, traf er dennoch selten auf dauerhaften offenen Widerstand, solange er den Adel nicht zu sehr provozierte – das Ende Jakobs III. 1488 war hier eher eine Ausnahme gewesen –, aber ein Regent oder eine Regentin oder eben eine Frau als Trägerin der Krone wie Maria Stuart waren in einer viel schwächeren Position.
Eine bürokratische Verwaltungsstruktur gab es nicht einmal ansatzweise, und auf der lokalen Ebene lagen die wichtigsten Jurisdiktionsrechte in den Händen des hohen Adels oder unter Umständen auch von kirchlichen Würdenträgern. Außerhalb der traditionellen Herrschaftszentren der Monarchie wie Edinburgh, Falkland und Stirling hatte ein Untertan des schottischen Königs kaum je unmittelbaren direkten Kontakt mit der Autorität der Krone, es sei denn, der König bereiste persönlich jenen Teil des Landes, in dem er lebte. Regelmäßige Einkünfte aus Steuern besaß die Krone überdies nicht – dies sollte sich erst Ende des 16. Jahrhunderts ändern –, und im Kriegsfall war der Monarch auf das Aufgebot seiner Vasallen angewiesen, Söldner konnte er sich kaum leisten. Andererseits war die Krone das Symbol der nationalen Einheit und letztlich der König der Ursprung allen Rechts. Er allein konnte Besitz- und Herrschaftsansprüche, indem er sie anerkannte, dauerhaft legitimieren oder auch wirksam in Frage stellen, indem er ihnen seine Anerkennung verweigerte. Ein willensstarker und geschickter Herrscher konnte durchaus eine Koalition von Magnaten und Adligen um sich sammeln, mit deren Hilfe er seine Gegner auszuschalten vermochte.
Marias Sohn Jakob VI. sollte darin in den 1590er Jahren durchaus erfolgreich sein. Unter ihm wurde aus einem relativ offenen feudalen Herrschaftssystem, das nur in Krisenzeiten gelegentlich eine größere Kohärenz entwickelte, ansatzweise ein frühmoderner Staat mit festen Institutionen. Maria Stuart selbst blieb ein solcher Erfolg jedoch verwehrt. Sie war allerdings auch genötigt, sich zusätzlich mit dem wachsenden englischen Einfluß auf die schottische Politik auseinanderzusetzen, ohne wirksame Unterstützung beim traditionellen Verbündeten Schottlands, bei Frankreich, zu finden.
England hatte schon seit dem späten 13. Jahrhundert mit wechselndem Nachdruck eine Art Oberhoheit über Schottland beansprucht. Im Spätmittelalter waren die Kräfte Englands allerdings über lange Zeit hinweg durch den Versuch, die französische mit der englischen Krone zu vereinen, und später – im Verlauf des 15. Jahrhunderts – durch innere Thronwirren gebunden gewesen. Dies sollte sich mit der Thronbesteigung der Tudors (1485) schrittweise ändern. Heinrich VIII., der zweite Tudor-Herrscher (1509–1547), versuchte zwar zeitweilig, die englischen Ansprüche auf Besitzungen auf dem Kontinent, insbesondere im Norden Frankreichs, wieder zu beleben, aber zunehmend erlangte nun auch die Sicherung der Machtstellung Englands an der britischen Peripherie, also in Irland, das 1541 zum Königreich erhoben wurde, und gegenüber Schottland Bedeutung.
Die schottischen Könige Jakob IV. (1488–1513) und Jakob V. (1513– 1542) erneuerten im Gegenzug die traditionelle Allianz mit Frankreich wohl auch in der Hoffnung, durch einen Sieg über England der Dynastie der Stuarts endgültig einen respek-tablen Platz unter den führenden europäischen Herrscherhäusern zu sichern. Diese Politik führte jedoch wie schon erwähnt zu den katastrophalen militärischen Niederlagen von Flodden (1513) und Solway Moss (1542) im Krieg gegen England. Andererseits konnte der englische Versuch, in den Jahren 1547 bis 1549 Schottland dauerhaft durch die Anlage von permanenten Garnisonen zu unterwerfen, mit französischer Unterstützung vereitelt werden. England war zwar häufig stark genug, um die schottische Armee im offenen Feld zu schlagen, aber nicht, um das Land oder auch nur die südlichen Grenzprovinzen dauerhaft zu besetzen, insbesondere wenn Schottland sich in der Auseinandersetzung auf fremde, und dies hieß in der Regel französische Hilfe stützen konnte.
Es war daher wenig erstaunlich, daß Jakob V. von Schottland sowohl in erster als auch in zweiter Ehe mit Französinnen verheiratet war. Seine erste Gemahlin war Madeleine Valois, eine Tochter Franz’ I. von Frankreich, und seine zweite Gattin, die Mutter Maria Stuarts, Marie de Guise. Die Guise, eigentlich eine Nebenlinie der Herzöge von Lothringen, die im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich eine unabhängige Position zu behaupten suchten, gehörten zu den bedeutendsten französischen Magnatenfamilien des 16. Jahrhunderts. Ihr Einfluß am französischen Hof erreichte unter Franz II., dem ersten Gemahl Maria Stuarts, und in den 1560er Jahren seinen Höhepunkt. Die Guise waren entschiedene, ja oft sogar fanatische Vorkämpfer des Katholizismus und der Gegenreformation, obwohl in Krisensituationen ihr Standesbewußtsein und ihr Streben nach Macht ihr Verhalten mindestens ebenso stark bestimmten wie ihr religiöser Eifer…
Prof. Dr. Ronald G. Asch