Wie sind Sie auf Lucrezia Borgia gekommen?
Susann Rosemann: Durch mein neues Projekt, das im Italien der Renaissance angesiedelt sein soll. Dabei trifft man ja automatisch auf die Borgias, unter denen mir Lucrezia unheimlich imponiert.
Warum imponiert sie Ihnen?
Wegen ihrer gewissermaßen leisen Art, sich durchzusetzen. Sie hatte einen unglaublich dominanten Vater, der seine aus Spanien stammende Familie unbedingt in der italienischen Adelswelt etablieren wollte, und sie war den Zwängen ihrer Zeit und ihres Standes unterworfen. Sie fand trotzdem ihren Weg, sich in Dingen durchzusetzen, die ihr wichtig waren.
Welche Angelegenheiten waren das?
Ein Beispiel: Ihr dritter Gatte war Alfonso d’Este, der damalige Thronfolger des Herzogtums Ferrara. Dorthin konnte sie ihren Sohn aus zweiter Ehe nicht mitnehmen. Irgendwann sollte dieser Sohn nach Spanien geschickt werden. Sie schrieb erst ihrem Schwiegervater, dem Herzog, einen freundlichen Brief, in dem sie ihm den Schmerz einer Mutter vor Augen führte, von ihrem Kind getrennt zu sein. Als das nichts fruchtete, ließ sie nicht locker, sondern wandte sich an ihren Schwager, den Vormund des Jungen. Der kam letztlich nicht nach Spanien.
Sie war also mehr als ein Objekt väterlicher Machtpolitik?
Davon bin ich völlig überzeugt. Sie war eine sehr charakterstarke Frau, sie war klug und wusste sich durchzusetzen. Aber eben nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern indirekt, diplomatisch. Nachdem ihr Bruder ihren zweiten Gatten hatte umbringen lassen, zog sie sich aus Rom zurück und tauschte mit ihren Vertrauten chiffrierte Briefe aus. Das machte sie später auch als Herzogin von Ferrara, als ihr bewusst war, dass sie unter Beobachtung stand. Hier offenbart sich der Widerstandsgeist, über den sie verfügte.
Ihr Ruf ist dennoch nicht gut, oder?
Das hatte vielleicht auch mit der verstohlenen, indirekten Art ihres Vorgehens zu tun. Sie war für die Zeitgenossen eben nur sehr schwer fassbar. Ihr Vater hatte sich viele Feinde im italienischen Adel gemacht: durch sein Machtstreben und seinen ausschweifenden Lebensstil, den er als Papst noch auf die Spitze trieb. Die Gegner ihres Vaters fanden in dessen Tochter die ideale Zielscheibe für böse Gerüchte: Lucrezia als inzestuöse Giftmischerin. Das hat sich dann in der weiteren Rezeption fortgesetzt. Es gibt Gruselgeschichten, die zu schön sind, um nicht weitergetragen zu werden.
Was lässt sich ihr als Leistung zurechnen?
In Ferrara agierte sie als völlig selbständige Fürstin. Sie stand ihrem Mann, dem Herzog, auf Augenhöhe zur Seite, in seiner Abwesenheit übernahm sie die Verwaltungsgeschäfte. Bemerkenswert war auch ihre Sorge um die Untertanen. Von Anfang an nahm sie sich der Klagen bedürftiger Bittsteller an. Sie ließ sumpfiges Gebiet urbar machen, mit Sicherheit nicht nur aus Geschäftsinteresse, sondern auch, um das Auskommen der Bevölkerung zu sichern.
Interview: Dr. Winfried Dolderer
Susann Rosemann geb. 1969, deutsche Schriftstellerin, die historische Romane verfasst. 2015 Preisträgerin des „Silbernen Homer“ für den besten historischen Krimi. Werke unter anderem „Die Tochter des Tuchkaufmanns“ (2012), „Das Lied der Flötenspielerin“ (2016).
Lucrezia Borgia (1480 – 1519), italienische Renaissancefürstin. Tochter von Kardinal Rodrigo Borgia (Papst Alexander VI., 1492 – 1503). Seit 1503 in dritter Ehe Angehörige des herzoglichen Hauses von Ferrara. Seit Thronbesteigung ihres Gatten 1505 Herzogin.