Bereits 1941 waren die Friesplatten des Pergamonaltars mit dem „Gigantenkampf “ ausgelagert worden, um sie vor möglichen Kriegsschäden zu bewahren. 1945 gelangten die Reliefs mit weiteren ausgelagerten Teilen des Altars als Beutekunst in die Hände der Roten Armee. Vor der Abnahme hatte der Architekt Friedrich Krauss noch zeichnerische Dokumentationen der Platten machen können, die dem Archäologen Heinz Kähler wichtige Informationen für seine 1948 veröffentlichte Gesamtdarstellung dieses Monuments lieferten. Die Rückkehr der Friesplatten aus ihrem Beutekunst-Exil und die vollständige Wiedereröffnung des Pergamonmuseums im Jahr 1959 bildeten dann den Auftakt für eine neuerliche intensive Beschäftigung mit dem wieder zugänglichen Monument. Seitdem sind zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen über den Pergamonaltar, seine Rekonstruktion und Datierung, seine kunstgeschichtliche Bedeutung und ikonologische Deutung erschienen. Studien am Ausgrabungsplatz in Pergamon nach 1990 und die grundlegende Restaurierung der Altarfriese zwischen 1994 und 2004 haben in jüngster Zeit unsere Kenntnis noch einmal wesentlich bereichert. Grundlegend ist darüber hinaus jedoch bis heute die Arbeit von Heinz Kähler geblieben.
Was wissen wir also von dem Großen Altar, der zwar nicht zu den „offiziellen“ Weltwundern der Antike gehörte, aber immerhin in einem spätantiken Traktat über „außergewöhn-liche Dinge“ von seinem Autor Ampelius als „Wunderwerk“ gepriesen wurde? Im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. etablierte sich in der bis dahin unbedeutenden Bergfestung Pergamon in den Kämpfen zwischen den Erben Alexanders des Großen eine lokale Herrscherdynastie. Die nach ihrem Stammvater Attalos benannten attalidischen Könige konnten durch eine kluge Politik im Bündnis mit der neuen „Supermacht“ Rom schließlich einen großen Teil Kleinasiens ihrem Herrschaftsgebiet einverleiben. Dieser Machtzuwachs ermöglichte es Eumenes II. (197–159 v. Chr.) und seinem Bruder Attalos II. (159 –138 v. Chr.), ihre Residenzstadt Pergamon prächtig auszu‧bauen.
Das bedeutendste Monument aus der Regierungszeit Eumenes’ II. in Pergamon war der auf einer Terrasse unterhalb der eigentlichen Burg gelegene Große Altar – ein Monument, das wir heute einfach „Pergamonaltar“ nennen. Vermutlich wurde mit seinem Bau um 170 v. Chr. begonnen. Der Altar kann zunächst als Weihgeschenk des pergamenischen Königs für erwiesene göttliche Wohltaten – etwa den Beistand der Götter in den Kämpfen um den Erhalt der Herrschaft – angesehen werden. Die geringen Reste der Weihinschrift des Altars und das kosmologisch orientierte Bildprogramm des Großen Frieses lassen dies vermuten. Hinweise auf eine Bestimmung als Denkmal für einen bestimmten militärischen Sieg fehlen hingegen. Für solche Anlässe hatten die pergamenischen Könige im Athena-Heiligtum der Stadt zahlreiche große Weihungen mit Statuengruppen aus Bronze errichten lassen. Berühmt sind die in Marmor ausgeführten römischen Kopien des sterbenden Galliers in den Kapitolinischen Museen und die Galliergruppe Ludovisi, die auf ein solches Siegesdenkmal zurückgehen.
Da für den Bau der Altarterrasse andererseits aber umfangreiche Umgestaltungen in einem dichtbesiedelten Gebiet unterhalb der Königsresidenz nötig waren, kann man außerdem davon ausgehen, dass der Bau schon früh Bestandteil eines städtebaulichen Konzepts für ein repräsentatives kultisches Zentrum in der neuen Residenz war. Der Altarbau hatte ungewöhnliche Ausmaße und wurde ohne einen zugehörigen Tempel errichtet. Er bezieht sich aber in seiner Lage deutlich auf den alten Athena-Tempel im höher gelegenen Stadtheiligtum. Dies und die besonders hervorgehobene Stellung von Zeus und Athena im Gigantenfries des Altars lassen vermuten, dass das Monument Zeus und Athena geweiht war.
Der sichtbare Aufbau des Altars bestand ganz aus Marmor, der von den Inseln Prokonnesos (heute Marmara) und Lesbos auf den Burgberg gebracht wurde. Dieses Material war etwas Besonderes, denn bis dahin waren die meisten Gebäude in Pergamon aus dem einheimischen Vulkangestein Andesit – einem dunklen, für feinere Steinmetzarbeit schlecht geeigneten Material – errichtet worden. Der leuchtende Marmorbau des Altars auf der hoch gelegenen Terrasse war daher in antiker Zeit für jeden Besucher Pergamons schon von weitem zu sehen. Damit bildete der Altar einen besonderen städtebaulichen Akzent im Zentrum der königlichen Residenzstadt.
Sein Fundament maß etwa 34 mal 36 Meter; darauf erhob sich ein etwa 5,40 Meter hohes Podium mit einer im Westen einschneidenden, über 20 Meter breiten Freitreppe. An diesem Unterbau war der 2,30 Meter hohe Große Fries mit dem Kampf zwischen Göttern und Giganten angebracht. Der Fries bestand aus 113 Reliefplatten mit einem Durchschnittsgewicht von je zwei Tonnen. Zu sehen ist darauf ein einziges großes Schlachtenbild, das ohne Unterbrechung um den ganzen Unterbau lief und an den Stufen der Freitreppe zum hoch gelegenen Hof endete. Dieser Hof war an drei Seiten von einer hohen Quadermauer mit einer äußeren Säulenhalle umgeben. An der Westseite des Altars bildeten die Kolonnaden beiderseits der Freitreppe und die vorgezogenen Hofmauern monumentale Vorsprünge, sogenannte Risalite. Eine offene Säulenhalle zwischen den Risaliten war der antike Zugang zum Innenhof des Altars.
Die äußere Mauerschale der Hofwände bestand aus dunkelblauem Marmor, was die räumliche Tiefenillusion in den zierlichen Außenkolonnaden unterstützte. Im Innenhof waren wohl zunächst Pfeilerhallen geplant. Zum Bau dieser Hallen kam es jedoch nicht mehr. Daher blieb auch in der Antike der kleine Altarfries, auf dem die Telephos-Sage dargestellt ist, an den Innenwänden des Altarhofs unverstellt sichtbar, so wie dies auch heute im Pergamon-museum in Berlin der Fall ist.
Der Telephos-Fries mit ursprünglich 74 Reliefplatten war insgesamt 56,60 Meter lang. Seine 1,58 Meter hohen Reliefs schilderten in einzelnen, in‧ein‧ander übergehenden Szenen das Leben des Telephos – des mythischen Stadtgründers und Urahns der pergamenischen Könige. Dieser soll in der Zeit des Trojanischen Krieges gelebt haben und galt als Sohn des Herakles. Herakles wiederum war ein Sohn des Göttervaters Zeus und erhielt für seine Hilfe im Kampf der Götter gegen die Giganten die Unsterblichkeit. Er ist das Bindeglied zwischen dem urzeitlichen Mythos vom Gigantenkampf am Sockel des Altars und dem Zeitalter der Heroen, in dem die Telephos-Sage an‧gesiedelt ist. Im Telephos-Fries wird schließlich die Gründung der Stadt Pergamon und ihrer Heiligtümer auf diese mythischen Ursprünge zurückgeführt…
Dr. Volker Kästner