Seit Beginn der Ausgrabungen im 18. Jahrhundert hat die antike Kleinstadt am Golf von Neapel nicht nur unser Wissen über die Architektur und Ausstattung der Häuser, Plätze und Heiligtümer einer hellenistisch-römischen Stadt enorm bereichert, sondern auch ganz neue Einblicke in deren Wohn- und Lebensverhältnisse eröffnet. Die einzigartige Kombination aus Zeugnissen des täglichen Lebens, aufsehenerregenden Kunstwerken und dem allgegenwärtigen Memento mori macht die Faszination Pompejis aus, der jährlich bis zu zwei Millionen Besucher aus aller Welt erliegen.
Der kaum zu überschätzenden Bedeutung Pompejis als Geschichts- und Kulturdenkmal steht heute ein erschreckendes Bild des Niedergangs entgegen: Große Teile der Stadt mußten aufgrund von Baufälligkeit für den Besucherstrom gesperrt werden, kostbare Fresken bröckeln von den Wänden, und antike Mosaiken werden Opfer der Vegetation. Die Kosten für eine erste Sicherung der Ruinen sind auf ungefähr 250 Millionen Euro beziffert worden. Ebenso vielfältig wie die Probleme sind auch deren Ursachen. An erster Stelle sind es aber die schiere Größe des Terrains und die Masse an Erhaltenswertem, die Archäologen und Denkmalpfleger vor eine kaum lösbare Aufgabe stellen. So ist es nur konsequent, daß die zuständige Denkmalbehörde einen Ausgrabungsstop über die Teile der Stadt verhängt hat, die noch unter den schützenden Eruptionsmassen verborgen liegen. Im Rahmen des „Progetto Pompei“ sind nun italienische und ausländische Archäologen dazu aufgerufen, in interdisziplinären Forschungsvorhaben den bereits freigelegten Bestand zu untersuchen und zu dokumentieren. Denn nur ein Bruchteil der Ausgrabung kann nach modernen Kriterien als wissenschaftlich bearbeitet gelten. Und die Zeit drängt in Anbetracht des rasch fortschreitenden Verfalls.
Seit 1997 beteiligt sich das Deutsche Archäologische Institut, Abteilung Rom, mit zwei Projekten an der Erforschung und Konservierung Pompejis. Ziel des Unternehmens ist es, die Entwicklung, das Aussehen und die Funktion eines zusammenhängenden Architekturkomplexes in Pompeji zu rekonstruieren. Als Untersuchungsobjekt wurde zum einen die bereits 1861 freigelegte Casa dei Postumii ausgewählt, ein mittelgroßes Wohnhaus im Zentrum der Stadt. Die Anlage, die neben dem Atrium-Peristyl-Haus (bei dem der Repräsentations- und Empfangsbereich des Hauses um einen Säulenhof erweitert war) auch mehrere einfache Gewerbe- und Wohneinheiten entlang den Straßenfronten und mindestens zwei Mietwohnungen im Obergeschoß umfaßt, bietet ein breitgefächertes Spektrum an Wohn- und Lebensstandards.
Dr. Jens-Arne Dickmann/Dr. Felix Pirson