Der Blick zur Decke zeigt roséfarbene Barockarchitektur, während auf dem Fußboden die ba-dische Revolution stattfindet: Die Erinnerungsstätte für die deutschen Freiheitsbewegungen ist in einem Flügel des Rastatter Schlosses untergebracht, und die Ausstellungsarchitektur mußte auf den denkmalge-schützten Bau mit seinem heiteren Ambiente Rücksicht nehmen. So lebt sie auch von der daraus entstehenden Spannung. Die Wahl des Orts erinnert zudem daran, daß hier, wo 1849 der Revolutionsrat tagte und dann das Standgericht stattfand, „Blut geflossen ist“. Die Erinnerungsstätte verdankt ihre Gründung einer Initiative von Bundespräsident Gustav Heinemann (1969–1974), dem der Rückblick auf die Demokraten, die vor allem 1849 für die Freiheit gefochten hatten, ein besonderes Anliegen war. Die frühen Anläufe einer freiheitlichen Ordnung in Deutschland, so Heinemann, seien bislang im öffentlichen Bewußtsein wenig präsent. Ihm lag daran, daß an diese – häufig lokal verankerten – Traditionen angeknüpft würde.
Interesse und Kenntnis haben sich seit den 1970er Jahren enorm verändert, und der Wunsch Heinemanns, daß die Freiheitsbewegungen fester Bestandteil des deutschen kollektiven Gedächtnisses würden, scheint erfüllt. Daran hat auch die „Erinnerungsstätte“ ihren Anteil, die seit 1996 ganz neu gestaltet wurde; die Eröffnung der heutigen Dauerausstellung fand im Juni 1999 statt.
Ihr inhaltlicher Bogen spannt sich von den Freiheitsbewegungen der frühen Neuzeit über die 1848er und 49er Revolution bis zu den Kämpfern gegen Nationalsozialismus und SED-Herrschaft. Im Innenhof, dem Zentrum der Ausstellung, trägt ein Freiheitsbaum die Parolen der Französischen Revolution weiter: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Eine Barrikade erinnert daran, daß die Freiheit nicht unblutig errungen wurde. Diesem Zweck dienen auch der Obelisk für diejenigen, die bei den Berliner Barrikadenkämpfen am 18. und 19. März 1848 gefallen sind, und die Pyramide, die an die polnische Legion erinnert, die 1849 an der Seite der Revolutionäre kämpfte.
Der Kampf um die Menschenrechte, für die nationale Einheit und gegen soziale Not – diese Themen ziehen sich als roter Faden durch die gesamte Ausstellung. Da sie in den Kontext der jeweiligen Zeitumstände eingebettet werden, erschließen sich dem Besucher eindrucksvolle Entwicklungsprozesse. Wohl niemand wird die Ausstellung verlassen, ohne ein Gefühl dafür gewonnen zu haben, wie lang und hart der Kampf um das heute Erreichte war. Und wie weit man es in Deutschland – trotz aller Politikverdrossenheit und Sorge um die soziale Absicherung – gebracht hat.
Trotz einer gewissen Textlastigkeit ist die Ausstellung vielfältig konzipiert, so daß sie auch jüngeren Besuchern Anregung bietet. Ein Modell von der Belagerung Rastatts, Heckerhüte oder Revolutionsabzeichen stimmen den Besucher auf die Revolu-tionszeit ebenso ein wie die passende musikalische Untermalung. In einem Leseraum kann man in Faksimiles des „Berliner Krakehler“ vom 4. Juli 1848 schmökern oder den Verbesserungsantrag Jacob Grimms bei der Beratung der Grundrechte in der Nationalversammlung lesen, der formuliert sehen wollte: „Das deutsche Volk ist ein Volk von Freien und deutscher Boden duldet keine Knecht?schaft.“ Was sich bekanntermaßen in der Folge noch mehrfach als frommer Wunsch herausstellen sollte.
Als vorteilhaft erweist sich, daß die Neukonzeption von der ehemals streng sozialgeschichtlichen Präsentation Abschied genommen hat und Personen größeren Raum einräumt. Der Held der badischen Revolution, Friedrich Hecker, etwa wird von vielen Seiten beleuchtet; man fragt nach seinem Traum und sucht sein Erbe. Große Aufmerksamkeit finden auch die Frauen in der Revolution. Der sozialgeschichtliche Aufklärungsgestus ist dennoch weiter unverkennbar. So erfahren wir viel von der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert: Wie sah etwa der Lebensmittelverbrauch einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie um 1850 aus? Ein informatives Video zeigt die deutsche Gesellschaft im Wandel: den Einfluß der Eisenbahn, die Dynamik der Industrie …
Die Erinnerungsstätte versteht sich als lebendiges Forum historisch-politischer Bildung. Sonderausstellungen ergänzen ihr Programm und vertiefen einzelne Aspekte, so im Herbst 2005 mit einem Rückblick auf Leben und Wirken Robert Blums, der eine zentrale Rolle in der Paulskirche spielte und am 9. November 1849 in Wien standrechtlich erschossen wurde. Die Erinnerungsstätte beherbergt zudem als Dauerleihgabe seit 1999 die „Revolution in der Box“ aus der Sammlung Westermann: 100 Künstlerinnen und Künstler veränderten von Günter Westermann geschaffene Objektboxen mit einem auf die revolutionären Tage zurückverweisenden Thema; die Boxen sind teils in die historische Ausstellung integriert, teils als Rauminstallation inszeniert.
Wer angesichts der Dichte der in der Erinnerungsstätte ausgebreiteten Informationen nach mehr opulenter Anschauung verlangt, wird in Rastatt schnell fündig. Die Stadt, die 1689 durch die Truppen des französischen Marschalls Duras fast vollständig zerstört worden war, wurde danach barock neu aufgebaut. Schloß Rastatt ist die älteste Barockresidenz am Oberrhein und bietet Barock in exquisiter Ausführung und Überfülle – von illusionistischen Architekturbildern über nachgenähte Kostüme, Spiegeltafeln, die Fresken und Tapisserien des Audienzsaals bis zu den Kabinetten. Bis zum 24. September 2005 finden zudem noch Sonderführungen und -veranstaltungen zum Rastatter Thema 2005 statt: „Zwischen Sonne und Halbmond. 300 Jahre Residenzstadt Rastatt und 350. Geburtstag des legendären Türkenlouis“. Freunde des Türkenlouis, des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, begegnen ihm nochmals in einer Sonderausstellung im Wehrgeschichtlichen Museum (bis 25. September 2005). Und Liebhaber des Barock werden den kurzen Weg nach Schloß Favorite nicht scheuen, in dem die Porzellansammlung der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden untergebracht ist.
Auf besonderes Interesse wird bei vielen Rastatt-Besuchern sicherlich auch eine Führung durch die Kasematten (Befestigungsanlagen) stoßen. Die Stadt war von 1815 bis 1844 Bundesfestung; 1890 fand die Entfe-stung statt, und der Reichsfiskus verkaufte die Kasematten, die teilweise mit Wohnhäusern überbaut wurden. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Mitgliedern des Historischen Vereins konnten nun zwei große Teilbereiche freigelegt werden.
Internet: http://www.Erinnerungsstaette-Rastatt.de
Dr. Marlene P. Hiller