Über keinen anderen Fürsten des 18. Jahrhunderts ist so viel nachgedacht und geschrieben worden wie über den Preußenkönig Friedrich II. Dabei hat schon die Frage, ob ihm die frühzeitig mit seinem Namen verbundene Größe wirklich zuerkannt werden kann, zu heftigen Debatten geführt. Aber wie immer auch seine Person und sein Lebenswerk eingeschätzt werden mögen: Unbestreitbar ist, daß es keinen unter den Herrschern seiner Zeit und keinen unter den preußischen Königen gegeben hat, der mit einer solchen Fülle außerordentlicher Talente begabt war. So sind die Auseinandersetzungen um sein Schicksal und die Bedeutung seiner Persönlichkeit immer wieder auch darauf zurückzuführen, daß er bereits von den Zeitgenossen, aber viel stärker noch von Geschichtsschreibung und Publizistik, als außerordentlich facettenreich und vielfach auch widersprüchlich wahrgenommen wurde und insofern ein Bild vermittelt, das je nach Blickwinkel und Vorverständnis Bewunderung oder Ablehnung hervorgerufen hat.
Schon die Einschätzung der aufeinanderfolgenden Lebensstufen wirft eine Fülle von Problemen auf. Während dem Kronprinzen im Konflikt mit seinem bedingungslose Unterwerfung fordernden Vater Anteilnahme und Sympathie zuteil geworden sind und der Musenhof von Rheinsberg in der Aura epikureischer Heiterkeit und ungetrübter Lebensfreude erschien, wurde mit dem Herrschaftsantritt, dem Schlesien-Abenteuer und der gleichzeitigen Veröffentlichung des „Antimachiavell“ eine Diskrepanz im Denken und Handeln des Königs sichtbar, die sein Erscheinungsbild schon unter den Zeitgenossen, immer wieder aber auch in Historiographie und Publizistik, nachhaltig getrübt hat. Auch das zweifellos heroische Durchhalten des Königs im Siebenjährigen Krieg ist ebenso maßlos bewundert wie verurteilt worden. Erst mit dem „Alten Fritz“ verklärt sich dann allmählich das Bild des Königs. Die zahllosen Illustrationen und Histo?riengemälde, etwa von Daniel Chodowiecki und Adolph Menzel, trugen schließlich das Ihre dazu bei, den Mythos des weisen und gütigen Staatsdieners und des unermüdlich sorgenden Landesvaters zu begründen.
Auch die so unendlich vielfältigen Gebiete künstlerischer Interessen und wissenschaftlichen Mäzenatentums, auf denen sich Friedrich von seinen Rheinsberger Kronprinzenjahren an bis ins hohe Alter hervorgetan hat, sind anerkennend und gelegentlich mit überschwenglicher Begeisterung gewürdigt worden, haben ihm aber zugleich auch den Vorwurf einge-tragen, ein Traditionalist gewesen zu sein, der den tiefgreifenden Stil- und Bewußtseinswandel vor allem in den 1770er und 1780er Jahren nicht mehr erfaßt habe. Vor allem der aufblühenden deutschen Literatur – weder Lessing noch Wieland oder Goethe, vom „Sturm und Drang“ ganz zu schweigen – habe er gerecht zu werden vermocht. Seine Originalität und sein Geschmack auf musikalischem Gebiet – er wußte weder Gluck noch Mozart oder Haydn zu würdigen – sind wie seine ausge?dehnte Bautätigkeit in Potsdam und Berlin, nicht zuletzt wegen eines auftrumpfenden Fehlgriffs wie dem Neuen Palais, gleichfalls kritisch beurteilt worden.
So hat man rückblickend eingewandt, daß er auf künstlerischem Gebiet wenig Weiterführendes zustande gebracht hat. Vielmehr habe er als typischer Vertreter des französisch geprägten Ancien régime zu gelten und sei mit Ausnahme seiner Ablehnung jeder religiös fundierten Legitimität einem Kanon althergebrachter Selbstdarstellungsmuster verpflichtet geblieben.
Einer solchen Einschätzung kann prinzipiell kaum widersprochen werden. Nur sollte dabei nicht außer acht gelassen werden, daß sich solche Urteile auf Bereiche beziehen, denen sich Friedrich gewiß in durchaus ambitionierter Stilisierungsabsicht, aber nach eigenem Bekunden vor allem zu seiner Zerstreuung gewidmet hat. Insofern sind sie für das Erscheinungsbild einer Herrscherpersönlichkeit mit dem Anspruch auf europäische Wahrnehmung zwar nicht unerheblich, aber eher doch als zweitrangig zu betrachten.
Der einzigartige Rang, der Friedrich dem Großen unter den regierenden Fürsten des 18. Jahrhunderts zugebilligt werden muß, liegt vielmehr auf einem anderen Gebiet. Denn keiner hat sich so intensiv wie er mit dem Wesen und den Grundprinzipien seines Fürstenamtes auseinandergesetzt. Dabei ist sicherlich unverkennbar, daß es immer wieder tiefe Brüche zwischen seiner in intensiven Quellenstudien erarbeiteten Herrschaftsauffassung und seinem konkreten, in elementarer Weise machtorientierten Handeln als Staatsmann und Feldherr gegeben hat.
Jacob Burckhardt hat mit der ihm eigenen Nüchternheit den lapidaren Satz aufgestellt, daß politische Größe egoistisch sein und alle Vorteile für sich ausbeuten müsse. Sie betrachte es von vornherein als ihre Aufgabe, sich zu behaupten und ihre Macht zu steigern. Macht aber bessere den Menschen in keiner Weise, vor allem, wenn er der Überzeugung sei, ein ernsthaftes Objekt für das Schicksal und den Nachruhm zu sein. Insofern mögen für einen Herrscher wie Friedrich andere Maßstäbe gelten, als sie im „bürgerlichen“ Leben Gültigkeit haben.
Jenseits seines Machtinstinkts hat sich Friedrich jedoch vom „Antimachiavell“ bis zu seinem Essay über Regierungsformen und Herrscherpflichten von 1777 beharrlich und mit unerbittlicher Konsequenz Rechenschaft über seinen Status und die Möglichkeiten und Grenzen des territorial so wenig homogenen „Hauses Brandenburg“ abzulegen versucht. Auch an seinen dem Voltaireschen Vorbild verpflichteten Geschichtswerken, seinen beiden großen Politischen Testamenten und der Fülle seiner Lehrschriften für Staat und Militär ist ablesbar, wie er bestrebt war, im Sinne eines pragmatischen Realismus persönliche und sachorientierte Schlußfolgerungen aus dem zu ziehen, was ihn die Geschichte und die eigene Erfahrung gelehrt hatten.
Gewiß spielten dabei auch autobiographische Aspekte und – wie vor allem die umfangreiche Korrespondenz mit Voltaire belegt – literarische und philosophische Ambitionen eine Rolle. Offenkundig ist jedoch, daß er sich über persönliche Vorlieben und Interessen hinaus die Grundprinzipien seiner Zeit in Bereichen wie der Staatslehre (antike Autoren wie Mark Aurel, Machiavelli, Montesquieu, Holbach …), des literarischen Diskurses oder des Heerwesens wie kein anderer Herrscher erarbeitet hat und sie praktisch wie theoretisch umzusetzen versuchte. Und darin liegt nicht nur etwas Neues, sondern wirkliche Größe und der unbestreitbare Rang dieses Monarchen.
Prof. Dr. Johannes Kunisch