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Von der Legitimationskraft der Gräber

Politischer Totenkult – von Hastings bis Moskau

Von der Legitimationskraft der Gräber
Nach seinem Sieg in der Schlacht von Hastings nahm Wilhelm der Eroberer auf dem rasch errichteten Grabhügelseines bezwungenen Vorgängers Harald Godwinson den Titeleines Königs von England an.Beileibe kein Einzelfall: Immer wieder mußten Tote und Gräber dazu herhalten, die eigeneLegitimität zu unterstreichen.

Im Jahr des Herrn 1066 tobte an der Südküste Englands eine Schlacht, die zu einem der bedeutsamsten Wendepunkte in der englischen Geschichte wurde. „Hier sei’s!“ rief Theodor Fontane aus, als er während seiner England-Reise Hastings besuchte. Heinrich Heine dichtete: „Der lausigste Lump aus der Normandie / Wird Lord auf der Insel der Briten“. Und Leopold von Ranke beschrieb den Konflikt als „eine neue Form der universalhistorischen Entwicklung, mit der England da in Kampf geriet“. Diese Auseinandersetzung leitete die zukunftweisende Verflechtung Englands mit dem lateinischen Europa ein und löste das Inselreich aus seinen herkömmlichen Bindungen an die skandinavischen Wikinger. Über Jahrhunderte von Skandinaviern besiedelt und bekämpft, war England bis dahin fest in den nordgermanischen Kultur-kreis einbezogen gewesen.

Auf einem noch heute in der Kathedralstadt Bayeux aufbewahrten Teppich, einer mehr als 70 Meter langen Bildstickerei, sind Szenen dieses Kampfes mit faszinierenden Details dargestellt und mit Kommentaren versehen: „Hier thronte Harald, König der Angelsachsen / Hier befahl Herzog Wilhelm, Schiffe bauen zu lassen / Hier zogen sie [die Normannen] Schiffe zum Meer / Hier zogen sie einen Wagen mit Wein und Waffen / Hier überquerte Herzog Wilhelm das Meer in einem großen Schiff / Hier begaben sich die Krieger nach Hastings und gerieten in die Schlacht gegen König Harald / Hier hieben sich Angeln und Franzosen gleichermaßen nieder“. Dann die Entscheidung: „Hier wird König Harald getötet“. Und über allem schwebt das unheilverkündende Gestirn, das Jahrhunderte später den Namen Halleyscher Komet tragen sollte.

In der Tat: Die Situation am Schlachttag, dem 14. Oktober, war dramatisch. Der Herzog der Normandie, Wilhelm, kämpfte mit König Harald II. Godwinson von England um die Krone des Inselreichs. Die Angreifer, Normannen, Bretonen und Gallier unter der Führung des Herzogs, seines Halbruders Bischof Odo von Conteville und des Grafen von Boulogne, bedienten sich aller Kriegskünste der Zeit. Lange Zeit hielten die kampferprobten angelsächsischen housecarls stand. Sie verschanzten sich in einer Defensivposition auf einem kleinen Hügel, in dessen Nähe eine bekannte Landmarkierung hervorstach, ein altersgrauer Apfelbaum. Die housecarls kämpften mit einer der gefürchtetsten Waffen der Kriegsge?schichte, einer langstieligen Streitaxt, die – geschickt gehandhabt – mit einem Hieb Roß und Reiter zu töten vermochte. Doch der Einsatz von schweren ringgepanzerten Reitern, Bogen- und Armbrustschützen in taktischen Bewegungen, verstellte Fluchtwege sowie der hohe persönliche Einsatz Herzog Wilhelms waren jene gewichtigen Gründe, derentwegen sich die Waagschale des Sieges zugunsten Wilhelms neigte. Als König Harald schließlich an der Spitze seiner Kämpfer fiel, war die Schlacht entschieden, wie das „Carmen de Hastingiae proelio“, eine der Hauptquellen zu den Ereignissen, berichtet. Wie ein zweiter Hektor, dem es einst gelang, in das Schiffslager der Danaer einzufallen, verfolgte der Graf von Boulogne die fliehenden Angelsachsen.

Die Toten der Normannen, Bretonen und Gallier wurden an Ort und Stelle bestattet. Die gefallenen Angelsachsen aber überließ man den Vögeln und Wölfen. Nur eine Ausnahme wurde gemacht. Obwohl Wilhelm der Eroberer die Schlacht bei Hastings siegreich geschlagen hatte, mußten die sterblichen Überreste König Haralds II. von England noch für eine besondere Inszenierung herhalten. Doch König Harald war so schwer getroffen worden, daß er nicht identifiziert werden konnte. Erst die herbeigerufene Frau des Königs, Edith Schwanenhals, konnte die Leiche wegen nur ihr bekannter Merkmale wiederfinden. Heine dichtete dazu ergreifend: „Gefunden hat Edith Schwanenhals / Des toten Königs Leiche. / Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht, / Sie küßte das Antlitz, das bleiche. / Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund, / Sie hielt ihn fest umschlossen; / Sie küßte auf des Königs Brust / Die Wunde blutumflossen. / Auf seiner Schulter erblickt sie auch – / Und sie bedeckt sie mit Küssen – / Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust, / Die sie einst hineingebissen.“

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Haralds Mutter Gytha bat den Herzog um eine würdige Bestattung nach königlichen Riten in ihrem Kloster. Sie wollte den Leichnam mit sich nehmen und das Gewicht ihres toten Sohnes sogar in Gold aufwiegen. Wilhelm aber lehnte ab. Der Normanne ließ für den vorher in Purpurtücher gehüllten Angelsachsenkönig einen Grabhügel errichten und nahm an dieser Stelle den Titel eines Königs von England an. Das „Carmen de Hastingiae proelio“ überliefert: „Mit seinem Volke klagte der Herzog über den begrabenen Gebeinen, / An die Armen in Christo teilte er Gaben aus. / Den Namen des Herzogs stellte er nun zurück, / als so der König bestattet, verließ den Ort er selbst als König.“ Mit dieser Handlung versuchte sich Wilhelm I. gleich zu Beginn seiner Herrschaft in England in eine magische Beziehung zu seinem Vorgänger zu setzen. Erst später, am Weihnachtstag 1066, wurde er in Westminster nach hergebrachtem ordo zum König gekrönt und gesalbt.

Dr. Olaf B. Rader

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