Die Verbundenheit der Familie Thurn und Taxis mit Regensburg erscheint heute so selbstverständlich, daß man die Stadt an der Donau für ihren Stammsitz halten könnte. Dem ist natürlich nicht so. Vielmehr hatte die Familie vom Beginn des 16. Jahrhunderts an ihren Sitz in Brüssel, 1729 wurde in Frankfurt am Main mit dem Bau eines herrschaftlichen Palais begonnen. Erst 1748 kamen die Thurn und Taxis als Prinzipalkommissare beim Immerwährenden Reichstag nach Regensburg. Als Vertreter des Kaisers benötigten sie dort eine repräsentative Residenz. So wurde die Herberge des Fürstbischofs von Freising in der Freien Reichsstadt Regensburg zum ersten Sitz der Familie Thurn und Taxis. Später mietete Fürst Alexander noch Räume im benachbarten Reichsstift St. Emmeram an, einem der bedeutendsten Benediktinerklöster des Heiligen Römischen Reiches.
Daß St. Emmeram einmal zur Residenz der Fürsten von Thurn und Taxis werden würde – daran war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Die Säkularisation hatte ihre Schatten noch nicht über die klösterliche Welt geworfen. Im Gegenteil: Während des ganzen 18. Jahrhunderts herrschte in St. Emmeram eine eifrige Bautätigkeit. So wurden beispielsweise in den 1730er Jahren Kirche und Bibliothek von Cosmas Damian Asam mit farbenfrohen Fresken ausgemalt. St. Emmeram war ein blühendes monastisches Zentrum – und dies seit mehr als 1000 Jahren. Voller Stolz schrieb Fürstabt Anselm Godin de Tampezo (1725 –1742): „Unser Kloster ist doch das ansehnlichste in der Stadt Regensburg; es hat eine Ausdehnung, daß man eine kleine Stadt wie etwa Neuburg an der Donau, in diesen Bereich hineinstellen könnte.“
Entstanden ist es am Ort der Grablege eines als Märtyrer verstorbenen Missions- und Wanderbischofs namens Emmeram. Von 739 bis 975 waren die Äbte von St. Emmeram zugleich Bischöfe von Regensburg. Ende des 8. Jahrhunderts ließ Abtbischof Sintpert eine große dreischiffige Basilika errichten. Die Gebeine des heiligen Emmeram erhielten damals ihren Platz in einer Krypta direkt unter dem Hochaltar. Auch der später heiliggesprochene Bischof Wolfgang (972 – 994) fand seine letzte Ruhestätte wie selbstverständlich in St. Emmeram – und nicht im Dom. Die Kirche des 8. Jahrhunderts ist in ihrem Kern erhalten geblieben, auch wenn der Innenraum heute weitgehend von den Farben und Stukkaturen des Rokoko geprägt ist. Schon die gewaltigen Ausmaße des Kirchenkomplexes zeugen von der Bedeutung St. Emmerams: 100 Meter mißt das Gotteshaus in der Länge und, nimmt man die Anbauten hinzu, rund 90 Meter in der Breite. Durch die Säkularisation von 1803 verlor St. Emmeram zwar seine Unabhängigkeit als Fürstabtei, doch erlosch das monastische Leben in dem altehrwürdigen Kloster noch nicht ganz: Regensburg war 1803 zur Hauptstadt eines Fürstentums geworden, das Napoleon für Karl Theodor von Dalberg, den bisherigen Kurfür-sten und Erzbischof von Mainz, geschaffen hatte. Erst 1810 fielen Stadt und Stift an Bayern. Nach einer Gnadenfrist von zwei Jahren erhielt der frühere Fürstabt Coelestin Steiglehner am 14. April 1812 den Befehl, zusammen mit den verbliebenen Mönchen die Klostergebäude zu räumen.
Damals war bereits klar, daß der bayerische Staat St. Emmeram nicht behalten, sondern der Familie Thurn und Taxis abtreten würde – allerdings bar jeden Inventars. Sämtliche Möbel und anderen Einrichtungsgegenstände waren schon 1811 nach München gebracht worden. Doch wie kam es, daß St. Emmeram der Familie Thurn und Taxis übertragen wurde, die selbst ein Opfer der napoleonischen Flurbereinigung geworden war und seither über kein eigenes Herrschaftsgebiet mehr verfügte?
Daß im Königreich Bayern nach wie vor die Thurn und Taxis die Post beförderten, war dem bayerischen Staatsminister Montgelas ein steter Dorn im Auge. Im Februar 1806 hieß es zunächst, die Thurn und Taxis sollten die Post weiter betreiben, jedoch als königlich-bayerisches Lehen; bereits 1808 war auch damit Schluß: Durch königlichen Erlaß wurde die Post in Bayern verstaatlicht. Für diesen Verlust ihrer wirtschaftlichen Basis sollten die Thurn und Taxis finanziell und in Form von Grundbesitz entschädigt werden. Nach dem Ende des Dalbergschen Fürstentums 1810 rückte auch St. Emmeram in den Blickpunkt dieser Verhandlungen. Im März 1812 wurde der Vertrag über die Abtretung der Klostergebäude unterzeichnet. 1815 begann der Umbau der Abtei zur fürstlichen Residenz. Fürstin Therese, eine Schwester der preußischen Königin Luise, ließ zu diesem Zweck von namhaften Baumeistern Pläne anfertigen. An der Innenausstattung wirkte Leo von Klenze, der Lieblingsarchitekt König Ludwigs I. von Bayern, mit. In dieser frühen Umbauphase entstanden repräsentative Wohnräume im Empire-Stil, von denen jedoch einzig der Grüne Salon, das Schlafzimmer der Fürstin Therese, in dieser Form bis heute erhalten geblieben ist. Zu den früh veränderten Räumen gehört die Klosterbibliothek. Sie wurde nach 1812 im klassizistischen Stil ausgemalt. Erst bei einer Restaurierung 1967/68 wurden die Fresken Cosmas Damian Asams wieder freigelegt.
Als nächster großer Komplex folgte von 1828 bis 1831 unter Fürst Maximilian der Bau eines dreiflügligen klassizistischen Marstalls mit Reithalle. In dessen Nordtrakt wurde 1998 das Thurn und Taxis-Museum eingerichtet. Das Museum ist eine Zweigstelle des Bayerischen Nationalmuseums in München. Nachdem das Fürstenhaus sich 1992 zur Versteigerung überflüssigen Schloßinventars gezwungen gesehen hatte, erwarb der Freistaat Bayern mehr als 2200 kostbare Zeugnisse der fürstlichen Hofhaltung, darunter Mobiliar und Tafelgeschirr, Edelsteine und Prunkwaffen, geistliche Insignien und liturgische Geräte. Der Südtrakt und die Reithalle des Marstalls beherbergen seit 1966 das Fürstliche Marstallmuseum. Die prächtigen Kutschen, Schlitten und Pferdegeschirre sind weitere Zeugen für das Selbstverständnis der Thurn und Taxis auch nach dem Verlust der Souveränität. Davon künden ebenfalls die antike Heroen darstellenden Fresken Ludwig von Schwanthalers in der Reithalle.
Das nächste große Projekt der Familie in St. Emmeram war der Bau einer neuen Familiengrablege. Sie entstand von 1835 bis 1841 in Form einer zweigeschossigen Gruftkapelle im Kreuzgarten des Klosters. Dabei verwandte der fürstliche Baumeister Karl Victor Keim zwar gotische Stilformen, um das mittelalterliche Bild des Kreuzgangs zu bewahren, doch sprengen die Dimensionen des Baus gleichwohl die ursprüngliche Harmonie.
Auch mußten ganze Bauteile des alten Kreuzgangs, so etwa das Brunnenhaus, dem Neubau weichen. Daß sich die Familie Thurn und Taxis nicht mit Mittelmaß zufriedengeben wollte, zeigt sich einmal mehr in der Ausstattung der Gruftkapelle: Die Glasfenster hatten ihr Vorbild in den Apostelfiguren des Nürnberger Sebaldus-Grabes von Peter Vischer – und damit in einem der herausragenden Werke spätmittelalterlicher Kunst in Deutschland. Und die Christus-Statue in der Apsis der Kapelle schuf der Bildhauer Johann Heinrich von Dannecker, württembergischer Hofbildhauer, Freund Friedrich Schillers und Schüler des berühmten italienischen Bildhauers Antonio Canova.
Prägend für das heutige Erscheinungsbild der fürstlichen Prunkräume wurden jedoch die Umbauten nach 1871. Noch besaßen die Thurn und Taxis ihr Frankfurter Palais, das seit der Ausrufung des Deutschen Bundes 1815 dem österreichischen Gesandten als Residenz und den Gesandten des Bundes darüber hinaus als Tagungsstätte diente. Mit der Auflösung des Deutschen Bundes 1866 und der Gründung des kleindeutschen Reiches 1871 verlor Frankfurt aber seine politische Bedeutung – und das Palais der Thurn und Taxis seine Mieter.
Der preußische Sieg im Krieg von 1866 hatte für die Thurn und Taxis aber noch weiter gehende Folgen gehabt: Wie im bayerischen Regensburg mußte die Familie auch in der nun preußischen Stadt am Main ihre verbliebenen fürstlichen Lehenposten im Deutschen Bund für eine Entschädigung in Höhe von drei Millionen Talern in staatliche, sprich preußische, Hände übergeben. Ein Palais in Frankfurt schien vor diesem Hintergrund nicht mehr sinnvoll zu sein, zumal Regensburg nun eindeutig zum Zentrum der Familie geworden war. Zwar wurde der Bau erst 1895 von der Reichspost erworben, doch hatten die Thurn und Taxis bereits 1871 damit begonnen, die wertvolle Innenausstattung nach Regensburg zu bringen. Selbst die Wandverkleidungen und die Türen wurden ausgebaut.
Es war wohl nicht nur Sparsamkeit, sondern auch die Hochwertigkeit der Ausstattung, die die Familie dazu bewogen hat, ganze Räume des Frankfurter Palais nach Regensburg zu übertragen. Dazu gehört beispielsweise der Gelbe Salon von St. Emmeram mit seiner Rokoko-Ausstattung. Auch im zweigeschossigen Ballsaal des Schlosses stammen Spiegel und Sopraporten (Wandfelder über den Türen) aus dem alten Palais in Frankfurt. Zu den wertvollsten Schätzen des dortigen Palais gehörte eine Serie von Wandteppichen des 17. Jahrhunderts. Diese Brüsseler Arbeiten verherrlichen unter anderem die frühe Geschichte der Familie in legendärer Form. Wenn die Gobelins nun auch in St. Emmeram einen bevorzugten Platz erhielten, dann wollten die Thurn und Taxis damit einmal mehr ihren fürstlichen Rang herausstreichen – indem sie sich als Nachfahren der Familie della Torre darstellten, die im 13. Jahrhundert als zeitweilige Stadtherren der lombardischen Metropole Mailand eine wichtige politische Rolle in Norditalien spielten.
Ergänzt wird die Stilvielfalt durch einen zwischen 1883 und 1891 errichteten Neubau. Unter dem jungen Fürsten Maximilian Maria entstand an der Stelle des südlichen Wirtschaftsflügels der Abtei ein gewaltiger Komplex von 165 Metern Länge im Stil der Neorenaissance.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Schloß St. Emmeram als „eine der stolzesten Residenzen des Deutschen Reiches“ beschrieben. Das ist ein Eindruck, den auch der heutige Besucher leicht nachvollziehen kann. Es ist nicht der Wohnsitz eines landständigen Adligen, sondern die Residenz eines Herrschers. Wie in einem königlichen Schloß schreitet der Besucher durch eine nicht enden wollende Flut von Räumen, in denen die Pracht scheinbar immer weiter gesteigert wird. Es ist kein Zufall, daß es in dieser Residenz ein Thronzimmer gibt. Der Thronsessel stammt noch aus der Zeit, in der die Fürsten von Thurn und Taxis als Prinzipalkommissare den Kaiser zu vertreten hatten. Doch auch als das Heilige Römische Reich schon längst untergegangen war und die Fürsten von Thurn und Taxis keinen Kaiser mehr zu vertreten hatten, behielt der Thronsessel seinen Platz – als äuße-res Zeichen einer großen Familiengeschichte.
Zu der fürstlichen Repräsentation, die das Haus Thurn und Taxis bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt hat, gehört aber auch das soziale Engagement, wobei sich die Familie hier gleichfalls in herrscherlicher Tradition weiß. Eine dieser sozialen Einrichtungen, die Notstandsküche, gründete Fürst Albert 1922. Daß sich deren Speisesaal im ehemaligen Refektorium der Mönche befindet, reiht sich in eine noch sehr viel ältere Traditionsfolge ein, gehörte es doch zu den vornehmsten Aufgaben der mittelalterlichen Klöster, sich um Rei-sende zu kümmern, ihnen Unterkunft und Verpflegung zu geben. Die fürstliche Notstandsküche in St. Emmeram versorgt bis heute rund 250 Menschen täglich mit einer warmen Mahlzeit. Auch das ist ein Teil der lebendigen Familiengeschichte des Hauses Thurn und Taxis.
Uwe A. Oster