Biafra. Todesurteil für ein Volk“, lautete im August 1968 die Schlagzeile auf dem Titelbild des „Spiegel“. Besorgt fragten Redakteure des Magazins den Universalhistoriker Arnold Toynbee: „Ist das nur eine schmerzliche Episode der Geschichte oder vielleicht das Ende des moralischen Optimismus der Nachkriegszeit, das Ende der Hoffnung, dass es nun kein Auschwitz mehr geben werde“? Toynbee zeigte sich pessimistisch und äußerte gar die Überzeugung, in Biafra vollziehe sich ein Völkermord. Diese damals verbreitete Deutung erscheint aus heutiger Sicht problematisch. Mit dem nigerianischen Bürgerkrieg – oder Biafra-Krieg, wie er bis heute zumeist genannt wird – erhielten aber in jedem Fall die Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung im nachkolonialen Afrika einen kräftigen Dämpfer. Und dieser Krieg war einer der ersten schweren bewaffneten Konflikte in Afrika nach dem Ende der Kolonialzeit. Mehrere hunderttausend Menschen, einige Quellen sprechen von über einer Million, ließen ihr Leben. Im Kriegsgebiet kam es zu einer schweren Hungerkatastrophe.
Die Ursachen des Krieges reichen zurück in die Kolonialzeit und verweisen auf die von den Briten geförderte Politik des Kommunalismus und der ethnischen Mobilisierung in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch auch die antikolonialen Nationalisten, jene nigerianischen Politiker, welche die staatliche Macht von den Kolonialherren übernahmen, trugen für den Biafra-Krieg Verantwortung. Denn sie votierten für einen Machtkampf entlang ethnischen Linien und untergruben auf diese Weise die institutionelle Basis der nigerianischen Demokratie. Als Nigeria im Ok‧tober 1960 unabhängig wurde, unterschätzten jedoch fast alle an diesem Prozess beteiligten Politiker ebenso wie externe Beobachter die Explosivkraft der vielfältigen ethnisch-regionalen Konflikte, die man mit Hilfe einer parlamentarischen Demokratie und eines föderativen Systems glaubte bändigen zu können.
Jede der drei Regionen Nigerias wurde von einer ethnischen Gruppe dominiert. Mehr als die Hälfte aller Nigerianer lebten im muslimischen Norden, der Rest der Bevölkerung teilte sich mehr oder weniger gleichmäßig zwischen den Regionen des kleineren, wirtschaftlich jedoch weitaus potenteren Südens auf: der mehrheitlich von Yoruba bewohnten Westregion und der von Ibo dominierten Ostregion. Das fragile politische Gleichgewicht brach bald zusammen. Nach einem Militärputsch im August 1966 übernahmen Offiziere aus dem Norden unter Führung von General Yakubu Gowon die Bundesregierung. Zur selben Zeit führten Pogrome in der Nordregion zu einer Massenflucht von Ibo in ihre Heimatgebiete. Am 31. Mai 1967 rief die Militärregierung der südöstlichen Region unter Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu die Abspaltung von Nigeria und einen unabhängigen Staat Biafra aus.
Der Bürgerkrieg brach eine Woche später aus, als die Bundesregierung Truppen in das Gebiet sandte, um den Sezessionsversuch niederzuschlagen. Gowon und seine Offiziere glaubten, eine zeitlich befristete „Polizeiaktion“ würde ausreichen, um die Sezessionisten zur Räson zu bringen. Es entwickelte sich jedoch ein zäher, mit großer Erbitterung geführter Krieg. Biafras Landverbindungen waren schon bald nach Ausbruch der Auseinandersetzungen vollständig blockiert, was zu einer dramatischen Versorgungskrise in der dichtbevölkerten Region führte. Allein Waffen- und Nahrungsmittellieferungen aus der Luft vermochten die Blockade zeitweise zu durchbrechen. Doch die vergleichsweise gut ausgestattete Bundesarmee brauchte dennoch nahezu 30 Monate, um Biafra militärisch zu schlagen. Die Kapitulation trat offiziell am 15. Januar 1970 in Kraft. Ein Grund für das lange Durchhalten Biafras war sicher die extrem schlechte Organisation der Bundesarmee. Wichtiger jedoch: Biafras Politikern und Propagandaspezialisten gelang es auf sehr effiziente Weise, den Krieg zu internationalisieren und etwa das Thema des drohenden Genozids an der Bevölkerung Biafras auf die Agenda der Weltöffentlichkeit zu setzen, um internationale Unterstützung zu bekommen…
Prof. Dr. Andreas Eckert