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„Tag und Nacht Visa gestempelt“

Faszinierende Figuren: Dagmar Fohl über Aristides de Sousa Mendes

„Tag und Nacht Visa gestempelt“
Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In dieser Ausgabe: die Autorin Dagmar Fohl über den portugiesischen Juden-Retter Aristides de Sousa Mendes.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit Sousa Mendes?

Dagmar Fohl: Seit etwa einem Jahr. Ich las einen kurzen Artikel in einer Zeitschrift über ihn, und sein Schicksal ließ mich seither nicht mehr los.

Was hat Sie dermaßen gefesselt?

Er hat als portugiesischer Generalkonsul in Bordeaux im Juni 1940 gegen ein ausdrückliches Verbot Flüchtlingen Visa ausgestellt. Er rettete auf diese Weise 30 000 Menschen, unter
ihnen ein Drittel Juden. Er widersetzte sich damit dem Befehl seines Regierungschefs António de Oliveira Salazar und nahm die drohenden Konsequenzen für sich und seine Familie in Kauf. Gerade aus heutiger Sicht, während wir hinnehmen, dass viele Flüchtlinge im Meer ertrinken oder in Libyen entsetzlichen Leiden ausgesetzt sind, ist seine Haltung vorbildlich.

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Wissen wir etwas über seine Motive?

Im Grunde war er konservativ-monarchistisch eingestellt. Immer ein pflichtbewusster Beamter: unter der Monarchie, der Republik, der Diktatur Salazars. Er war aber auch ein strenggläubiger Christ. Im Frühsommer 1940 standen die Menschen zu Tausenden vor dem Generalkonsulat und wollten ein Visum nach Portugal, weil das die einzige Möglichkeit war, noch aus dem von den Deutschen besetzten Europa herauszukommen. Sousa Mendes stellte zunächst einzelnen Personen Visa aus, bis er auf einen Rabbi traf, der ihm sagte: Es hat gar keinen Sinn, nur meiner Familie zu helfen. Er schloss sich dann zwei Tage und zwei Nächte ein und rang mit sich. Schließlich sagte er: Visa für alle.

Nach drei Tagen wurde er abgesetzt …

Seit November 1939 durften die Konsuln ohne Rücksprache mit dem Außenministerium keine portugiesischen Visa mehr an Ausländer unbestimmter Herkunft, an Russen und an Juden ausstellen. Ich glaube, das hat ihn in seiner christlichen Überzeugung empört. Er wurde zwar zurückberufen, ging aber zunächst nicht, sondern schlug noch ein paar Tage heraus. Er hat eine Woche lang Tag und Nacht Visa gestempelt und unterschrieben – zuletzt auf Zeitungspapier.

Erst fast anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur 1974 wurde er rehabilitiert – warum so spät?

Den Grund dafür kenne ich nicht. Er war in Portugal überhaupt nicht mehr in Erinnerung. Sousa Mendes kämpfte jahrelang um seine Rehabilitierung, er schrieb den Papst an, die Nationalversammlung. Sein Bruder, zeitweise Außenminister, setzte sich für ihn ein – es half nichts.

Interview: Dr. Winfried Dolderer

Dagmar Fohl geb. 1958, deutsche Schriftstellerin. Nach Tätigkeiten als Historikerin und Kulturmanagerin seit 2000 freie Autorin in Hamburg. Werke unter anderem „Alma“ (2017), „Palast der Schatten“ (2013).

Aristides de Sousa Mendes (1885 –1954), portugiesischer Diplomat. Nach Verwendungen in Britisch-Guyana, Sansibar, den USA, Brasilien, Belgien seit 1938 Generalkonsul in Bordeaux. Ermöglichte dort 1940 zahlreichen Verfolgten des Nazi-Regimes die Flucht aus Europa über Portugal.

 

 

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