Jean Cauvin (latinisiert Johannes Calvinus), der Nachzügler unter den großen Reformatoren, wurde – anders als seine Vorgänger – in eine kirchliche Aufgabe fast hineingeboren. Als Notar und Vermögensverwalter des Bistums Noyon war sein Vater bischöflicher Beamter. Mit zwölf Jahren bekam der junge Jean seine erste kirchliche Pfründe. Zum Theologiestudium schien er – nach göttlichem und väterlichem Willen – gleichsam vorherbestimmt. Doch ganz so einfach verlief seine Karriere dann doch nicht.
Am 10. Juli 1509 wurde Johannes Calvin als zweites Kind von Gérard Cauvin und Jeanne Lefranc in Noyon in der Picardie geboren. Er erhielt eine gründliche Schulbildung. Der Vater, nicht ohne kritische Distanz zu seinem kirchlichen Arbeitgeber, beschloß, anders als zunächst geplant, daß sein Sohn statt Theologie nun Jurisprudenz studieren sollte, verhieß diese Studienrichtung doch eine glänzende Karriere. Mit 14 Jahren immatrikulierte sich Jean zum Grundstudium in Paris, studierte dann Jura in Orléans und Bourges, erwarb 1532 das juristische Lizentiat und im folgenden Jahr den Doktor der Rechte.
Unklar sind der Zeitpunkt und der genaue Hergang der Zuwendung Calvins zur Theologie und zur Reformation. Er selbst beschreibt diesen Schritt als plötzliche Lebenswende, als „Bekehrung“ (Konversion). Er verdammte sein bisheriges Leben „mit Seufzen und Tränen“ und verurteilte seine wissenschaftliche Ausbildung und Karriere als „Misthaufen von Irrtümern“. Mit Hingabe und Eifer stürzte er sich auf das Studium der „wahren Frömmigkeit“. Schließlich veränderte er sich auch räumlich und ließ sich in Basel nieder. Dort erschien 1536 die Schrift, die ihn mit einem Schlag berühmt machte: der „Unterricht in der christlichen Reli?gion“ (Institutio Christianae religionis). In diesem nach mehrmaligen Umarbeitungen überaus gewichtigen Werk von weit über 1000 Seiten versuchte Calvin, eine Zusammenfassung seiner protestantischen Theologie zu geben und alle religiösen Rätsel zu lösen. Er begann dabei mit Überlegungen zur Erkenntnis Gottes und zur Selbsterkenntnis des Menschen, um dann von der Schöpfung über die Trinitätslehre, die Anthropologie, die Erlösung durch Christus und die Kirchenlehre bis hin zu den Pflichten der Untertanen gegenüber dem Staat alle theologisch wichtigen Begriffe und Gedankengänge abzuarbeiten.
In zentralen Punkten war sich Calvin mit anderen Reformatoren wie Luther einig: Die Gerechtigkeit war für ihn nicht auf Werke gegründet, sondern bestand „tatsächlich allein in Gottes Erbarmen, allein in dem Teilhaben an Christus und darum allein im Glauben“. In anderen Punkten aber ging Calvin über seine Zeitgenossen deutlich hinaus, insbesondere in seiner Prädestinationslehre, der sich manche Theologen bis heute nur mit Grausen nähern. Calvin vertrat eine doppelte Prädestination (Vorherbestimmung): Auf der einen Seite bestimmt Gott in seiner Gnade eine Gruppe von Menschen zu Erwählten und führt sie zum ewigen Leben. Auf der anderen schließt er den anderen von vornherein „den Zugang zum Leben zu“ und überantwortet sie der ewigen Verdammnis. Das war zwar ein „unbegreifliches“, nach Calvin aber zugleich „unwiderrufliches“ göttliches Urteil. Er war überzeugt, daß dies alles zur Ehre des Höchsten geschah, „um seines Namens Ruhm zu erhöhen durch ihre Verdammnis“. Überhaupt steht Gottes Herrlichkeit im Zentrum der Theologie Calvins. Der Sternenhimmel legte ihm Zeugnis davon ab, „daß es eine wundersame Majestät Gottes gibt“: Die Sterne, die „nicht reden“ können, „schreien doch durch ihr Schweigen“.
1536 kam Calvin nach Genf, wo er von Guillaume (Wilhelm) Farel gedrängt wurde, die Stadt gemeinsam mit ihm zu reformieren – zu Gottes Ruhm und Ehre! Doch scheiterten die beiden mit ihrem rigorosen Programm am Rat der Stadt, der im Frühjahr 1538 ihre Ausweisung verfügte. Calvin begriff dies nur als „Beurlaubung“. Tatsächlich rief ihn der Rat der Stadt nach dreieinhalb Jahren zurück, da es nach der Vertreibung der Prediger in ihren Mauern „nichts als Unruhen, Entzweiungen, Streitigkeiten, Parteiungen, Aufruhr und Totschläge“ gegeben habe. Dennoch bedurfte es auch jetzt noch „erstaunlicher Kämpfe“, um sein eigenwilliges Reformprogramm durchzusetzen…
Dr. Veit-Jakobus Dieterich