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„Sie versammelt alle unsere großen Männer“

Königin Luise und die preußischen Reformen

„Sie versammelt alle unsere großen Männer“
Preußen bedurfte tiefgreifender Reformen. Sehr viel früher als König Friedrich Wilhelm III. war Königin Luise diese Notwendigkeit bewusst geworden. Und der Reformpartei um die Minister Stein und Hardenberg war klar, dass der Weg zu dem ewig zaudernden König über die Königin führen musste.

Friedrich Wilhelm III. und Luise lebten von Anfang an eine neue Form der Ehe, die sich bewusst von dem im 18. Jahrhundert weit verbreiteten Mätressenwesen abhob. Statt festgeschriebener Rollen sollten Spontaneität und informeller Umgang zwischen den Eheleuten gepflegt werden, statt Distanz Nähe dominieren. Der Partner wurde als Gefährte verstanden, die Erziehung der Kinder war gemeinsame Aufgabe beider Eltern, die Frau galt als gleichrangig innerhalb der Ehe. Es leuchtet ein, wie wichtig diese Ehekonzeption für das Kronprinzen- bzw. Königspaar wurde: Die persönliche Zuneigung der beiden wurde als individuelle Lebensform ebenso erlebt wie als Vorbild für die preußische Gesellschaft, die im Begriff war, die ständischen Einschränkungen zu überwinden. Die Königin verstand sich als enge Vertraute, als Gefährtin ihres Mannes, auch er hat die Wechselseitigkeit dieser Rolle immer wieder betont. Die Charakterisierung der Aufgabe der Königin als Gefährtin und Beraterin war also Programm für die preußische Gesellschaft ebenso wie für das preußische Königshaus um 1800.

Nicht ohne Grund hat sich die Verehrung der Königin an dieser Stelle festgemacht. Schon 1798 schrieb der Dichter Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg (genannt Novalis): „Die Königin hat zwar keinen politischen, aber einen häuslichen Wirkungskreis im Großen. Vorzüglich kommt ihr die Erziehung ihres Geschlechts, die Aufsicht über die Kinder des ersten Alters, über die Sitten im Hause … zu. Ihr Beispiel wird übrigens unendlich viel wirken … Verwandelt sich nicht ein Hof in eine Familie, ein Thron in ein Heiligtum, eine königliche Vermählung in einen ewigen Herzensbund? … Von der öffentlichen Gesinnung hängt das Betragen des Staates ab … Der König und die Königin können und müssen als solche das Prinzip der öffentlichen Gesinnung sein.“

In diesem Sinne erhielt die Königin einen Handlungsraum der politischen Beratung, der nicht als höfische Funktion, sondern als persönliche Ratgebung beschrieben werden kann. Sie hat diese Möglichkeit keineswegs von Anfang an beansprucht oder wahrgenommen, sah sie sich selbst in ihren ersten Ehejahren doch als politisch völlig unerfahren und ohne ausreichende Kenntnisse. Aber in den Jahren seit 1800 hat die Königin für den Gang der preußischen Innen- und Außenpolitik eine wachsende Bedeutung gewonnen; Heinrich von Kleist beschrieb diese Wahrnehmung auch von Seiten des gebildeten Bürgertums, der Gelehrten und Künstler in einem Brief an seine Schwester am 6. Dezember 1806: „Sie versammelt alle unsere großen Männer, die der König vernachlässigt, und von denen uns doch nur allein Rettung kommen kann, um sich; ja sie ist es, die das, was noch nicht zusammengestürzt ist, hält.“

Die Verletzung der preußischen Neutralitätspolitik durch Frankreich im Oktober 1805 führte zu einem Stimmungswechsel unter den zivi‧len und militärischen Führungsgruppen Preußens: Nicht länger sollte Österreich als Erzfeind gelten, vielmehr sollte ein Bündnis mit dem Kaiserreich eine antifranzösische Koali‧tion ermöglichen, um die Bedrohung durch die Armeen Napoleons aufzuhalten. Seit der Jahreswende 1805/06 wurde Königin Luise zum Kern dieser politischen Strömung, die sich als „Partei der Patrioten“ oder als „Par‧‧tei der Königin“ aus reformorientierten Offizieren, Gelehrten und Politikern in ihrem Umkreis zusammensetzte…

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Etliche der sogenannten preußischen Reformer, die erst nach 1808 erfolgreich tätig werden konnten, waren also bereits in die ersten Reformüberlegungen im Umkreis der Königin eingebunden. Deren Beziehung zu den genannten Persönlichkeiten war unterschiedlich intensiv; es wäre falsch, Luise zum Motor dieser Reformüberlegungen zu stilisieren. Aber ihr Engagement für Veränderungen hat es dem Kreis der Reformer durchaus erleichtert, die Pläne auch gegen den immer wieder zögerlichen König zunächst zu artikulieren, schließlich in die Tat umzusetzen. Luise fungierte als Kommunikatorin, als Vermittlerin von Plänen und Beraterin in Perso-nalentscheidungen, indem sie ihren zurückhaltenden und wenig entscheidungsfreudigen Mann ermunterte und stärkte. „Ich darf Dich doch einmal bitten“, schrieb sie ihm im Spätsommer 1806, „nehme mehr Zutrauen zu Dir selber und führe das Ganze, es geht gewiss besser.“

Für wie gewichtig die Rolle der Vermittlung, die die Königin übernommen hatte, auf Seiten der beteiligten Politiker gehalten wurde, verdeutlicht das Bemühen um eine Denkschrift des Freiherrn vom Stein, die er als preußischer Erster Kabinettsminister im April 1806 unter der Überschrift „Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerkonferenz“ verfasst hatte. Am 10. Mai 1806 ließ er die Schrift an die Königin weiterleiten mit der dringlichen Bitte, dem König die Inhalte nahezubringen. Zur großen Verwunderung des Freiherrn reagierte Luise auf die Denkschrift zunächst überhaupt nicht. Die dort vorgelegte schonungslos offene Analyse der preußischen Kabinettsregierung und die Vorschläge zur Veränderung dürften sie nicht von der Sache her, aber doch durch die schroffe Formulierung erschreckt haben. Insbesondere die deutlichen Worte zu den fehlenden Qualitäten engster Mitarbeiter des Königs fanden nicht ihre Zustimmung…

Literatur: Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang. München 2007. Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie. Münster 2007. Jan von Flocken, Luise. Eine Königin in Preußen. Berlin 1989. Malve Gräfin Rothkirch (Hrsg.), Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 1786 –1810. Berlin 2010. Paul Hartig (Hrsg.), Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, Die Reise an den Niederrhein und in die Niederlande 1791. Tagebuch der späteren Königin von Preußen. Berlin 2010. Luise Schorn-Schütte, Königin Luise. Leben und Legende. München 2003. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Paretzer Skizzenbuch. Bilder einer märkischen Residenz um 1800. Berlin 2010.

Porträt im Film: Der im Auftrag von Norddeutschen Rundfunk und ARTE von Looks Film produzierte 60-minütige Dokumentarfilm „Luise. Königin der Herzen“ (Regie: Daniel Schönpflug und Georg Schiemann) ist vom 26. März 2010 an auch als DVD erhältlich bei: polyband Medien GmbH www.polyband.de

Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte

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