Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Pionier der Versicherungswirtschaft

Sonderveröffentlichung

Pionier der Versicherungswirtschaft
Während der napoleonischen Kriege litt Gotha unter Truppendurchzügen, Einquartierungen und erzwungenen Kontributionszahlungen. In den Jahrzehnten danach wurde das Wirtschaftsleben der Stadt von einem innovativ denkenden Mann dominiert: Ernst Wilhelm Arnoldi (1778 –1841).

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts spielte die Kaufmannsfamilie Arnoldi in der Stadt Gotha eine wichtige Rolle. Es verwunderte daher nicht, dass Ernst Wilhelm Arnoldi mit 16 Jahren zur Ausbildung in das Handelshaus Johann Gabe & Comp. nach Hamburg geschickt wurde. Neben der Ausbildung im Betrieb besuchte er dort die Vorlesungen von Johann Georg Büsch, einem Experten für das Versicherungswesen.

Zurück in Gotha, wurde Arnoldi zunächst Teilhaber im väterlichen Kolonialwarenhandel, den er zusammen mit seinen drei Brüdern im Jahr 1812 vollständig übernahm. Doch das Thema Versicherungen ließ ihn nicht los.

1817 veröffentlichte Arnoldi im „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“ erstmals seine Überlegungen zum Versicherungswesen in Deutschland. Er schlug einen „Bunde unter den deutschen Fabriken“ vor, die sich zu einer „Versicherungsanstalt gegen Feuergefahr“ nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit zusammenschließen sollten. Nur so könne sichergestellt werden, dass erwirtschaftete Gewinne nicht ins Ausland abfließen: „Wie die Sachen gegenwärtig stehen, bleibt dieser Überschuss der Phönix-Assecuranz in London.“

Zwei Jahre später konkretisierte Arnoldi seine „Vorschläge zur Errichtung einer Versicherungsbank für kaufmännische Waarenlager, Kaufmannshäuser und das Mobiliare derselben“. Es gelang ihm, Kaufleute aus der Region für das Projekt zu begeistern. Am 2. Juli 1820 wurde die „Feuerversicherungsbank für den deutschen Handelsstand“ gegründet. Aber Arnoldi zielte auf mehr: Er wollte die Aktivitäten des Unternehmens nicht auf die Region beschränken, sondern einen gesamtdeutschen Markt ansprechen.

Anzeige

Dafür nutzte er seine geschäftlichen Kontakte und überredete Kaufleute im ganzen Land, als Agenten für die Versicherung tätig zu werden. Mit Erfolg: Schon im ersten Geschäftsjahr konnten Vertragsabschlüsse von 156 Agenturen von Konstanz bis Königsberg verzeichnet werden. „Jeder wechselfähige Kauf- und Handelsmann, Buchhändler, Fabrikant und Apotheker von unbescholtenem Rufe“ war als Kunde willkommen und wurde mit dem Vertragsabschluss zum „Teilnehmer auf Gewinn und Verlust der ganzen Unternehmung“.

Im Jahr 1827 ergänzte Arnoldi das Versicherungsgeschäft um eine Lebensversicherung, doch damit nicht genug: Auch an zahlreichen anderen Projekten wie der Gründung einer Handelsschule, des „Vereins der kaufmännischen Innungshalle“ und des Gothaer Gewerbevereins wirkte er mit.

Tagungsort für Vereine und Wiege der Arbeiterbewegung

Überregionale Bedeutung erlangte Gotha bald auch als Kongressstadt. Gründe hierfür waren die günstige Lage in der Mitte Deutschlands, der frühe Anschluss ans Eisenbahnnetz und das unter Herzog Ernst II. (1844 –1893) eingeführte liberale Versammlungsrecht.

Erster größerer Kongress war die von Friedrich Jacobs, einem Lehrer am Gothaer Gymnasium, organisierte 3. Jahresversammlung des „Vereins deutscher Philologen und Schulmänner“ im Jahr 1840.

Es folgten 1846 die deutschen Architekten, im Jahr darauf die Realschullehrer und Philosophen, und bald versammelten sich auch Ornithologen, Bienenzüchter und Metzger in Gotha. Es tagten der „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ und der „Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke“ (Thema der Tagung: „Das Trinken in den höheren Ständen“) genauso wie Tierschützer und Vereine „für die Reform des Bestattungswesen[s] und fakultative Feuerbestattung“.

Die liberale Landesverfassung von 1852 machte Gotha auch zu einem Zentrum der frühen Arbeiterbewegung. So organisierte der hier ansässige Schuhmachermeister Wilhelm Bock 1875 jenes Treffen in der Gaststätte Kaltwasser, bei der sich Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD, seit 1890: SPD) zusammenschlossen.

Mit der Organisation der Arbeiter zusammen fiel der Aufstieg der Fabrikbesitzer in die wirtschaftliche Elite der Stadt. Das erfolgreichste Unternehmen war die Karussellfabrik des Schlossermeisters Fritz Bothmann, die seit den 1890er Jahren auch Straßenbahnen und Eisenbahnwaggons herstellte. Seit 1912 stieg die „Waggonbau AG, vormals Fritz Bothmann & Glück“ zudem in die Flugzeugproduktion ein. Die berüchtigten „Gotha-Bomber“ wurden im Ersten Weltkrieg für Luftangriffe auf die Londoner Zivilbevölkerung eingesetzt.

Nachhaltig war die Kriegswirtschaft jedoch nicht: Beschäftigte die Waggonfabrik bei Kriegsende noch mehr als 1000 Arbeiter im Flugzeugbau, sank der Beschäftigungsstand aufgrund des Versailler Vertrags, der eine Fortführung der Flugzeugproduktion in Gotha untersagte, bis 1932 auf unter 100. Politischer Profiteur der wirtschaftlichen Misere wurde die NSDAP, die seit 1930 die stärkste Fraktion im Stadtrat war.


Foto: Atelier Schild-Vogel, Berlin

Felix Melching

geb. 1985, studierte Mittelalterliche Geschichte in Berlin.
Er ist freier Historiker und einer der beiden Moderatoren des DAMALS-Podcasts.

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
DAMALS in den sozialen Medien
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Zu|stand  〈m. 1u〉 1 〈Phys.〉 Beschaffenheit (eines Stoffes od. eines physikal. Systems) 2 〈allg.〉 Beschaffenheit, augenblickliche Lage (einer Sache od. Person), Verfassung … mehr

Ma|ra|bu  〈m. 6; Zool.〉 Angehöriger einer in Afrika, Indien u. auf den Sundainseln vorkommenden Gattung der Schreitvögel: Leptoptilus [<frz. marabou(t) … mehr

Log–in  〈n. 15; IT〉 Ggs Log–out 1 das Einbuchen in ein Computersystem mittels eines Passwortes … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige