Im Jahr 1827 ergänzte Arnoldi das Versicherungsgeschäft um eine Lebensversicherung, doch damit nicht genug: Auch an zahlreichen anderen Projekten wie der Gründung einer Handelsschule, des „Vereins der kaufmännischen Innungshalle“ und des Gothaer Gewerbevereins wirkte er mit.
Tagungsort für Vereine und Wiege der Arbeiterbewegung
Überregionale Bedeutung erlangte Gotha bald auch als Kongressstadt. Gründe hierfür waren die günstige Lage in der Mitte Deutschlands, der frühe Anschluss ans Eisenbahnnetz und das unter Herzog Ernst II. (1844 –1893) eingeführte liberale Versammlungsrecht.
Erster größerer Kongress war die von Friedrich Jacobs, einem Lehrer am Gothaer Gymnasium, organisierte 3. Jahresversammlung des „Vereins deutscher Philologen und Schulmänner“ im Jahr 1840.
Es folgten 1846 die deutschen Architekten, im Jahr darauf die Realschullehrer und Philosophen, und bald versammelten sich auch Ornithologen, Bienenzüchter und Metzger in Gotha. Es tagten der „Allgemeine Deutsche Frauenverein“ und der „Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke“ (Thema der Tagung: „Das Trinken in den höheren Ständen“) genauso wie Tierschützer und Vereine „für die Reform des Bestattungswesen[s] und fakultative Feuerbestattung“.
Die liberale Landesverfassung von 1852 machte Gotha auch zu einem Zentrum der frühen Arbeiterbewegung. So organisierte der hier ansässige Schuhmachermeister Wilhelm Bock 1875 jenes Treffen in der Gaststätte Kaltwasser, bei der sich Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD, seit 1890: SPD) zusammenschlossen.
Mit der Organisation der Arbeiter zusammen fiel der Aufstieg der Fabrikbesitzer in die wirtschaftliche Elite der Stadt. Das erfolgreichste Unternehmen war die Karussellfabrik des Schlossermeisters Fritz Bothmann, die seit den 1890er Jahren auch Straßenbahnen und Eisenbahnwaggons herstellte. Seit 1912 stieg die „Waggonbau AG, vormals Fritz Bothmann & Glück“ zudem in die Flugzeugproduktion ein. Die berüchtigten „Gotha-Bomber“ wurden im Ersten Weltkrieg für Luftangriffe auf die Londoner Zivilbevölkerung eingesetzt.
Nachhaltig war die Kriegswirtschaft jedoch nicht: Beschäftigte die Waggonfabrik bei Kriegsende noch mehr als 1000 Arbeiter im Flugzeugbau, sank der Beschäftigungsstand aufgrund des Versailler Vertrags, der eine Fortführung der Flugzeugproduktion in Gotha untersagte, bis 1932 auf unter 100. Politischer Profiteur der wirtschaftlichen Misere wurde die NSDAP, die seit 1930 die stärkste Fraktion im Stadtrat war.
Felix Melching
geb. 1985, studierte Mittelalterliche Geschichte in Berlin.
Er ist freier Historiker und einer der beiden Moderatoren des DAMALS-Podcasts.